Dieser Artikel erschien am 29. Juni 2017.
1475 heirateten die polnische Königstochter Hedwig und Herzog Georg in Landshut. Damals war ihre Hochzeit ein politischer Staatsakt. Heute gilt es als eines der größten Mittelalterfeste in Europa. Alle vier Jahre
feiern die Landshuter das Fest mit tausenden Darstellern. Bis zu einer halben Million Besucher werden in den kommenden drei Wochen in der niederbayerischen Hauptstadt erwartet. Doch nicht alle lassen sich von der Wucht des Spektakels mitreißen. Ein Besuch im Mittelalter.
Die Tränen der Braut
Im Schatten der Landshuter Martinskirche hat sich über all die Jahrhunderte hinweg so manches Drama abgespielt. Schräg gegenüber der Basilika will gerade ein Mädchen an dem von der Mama spendierten Eis schlecken, als plötzlich die Waffel bricht. Das feine Eis klatscht mit Karacho auf das Pflaster, ein entsetzter Blick, und schon kullern Tränen über die Wangen des Kindes. Welch ein Malheur mitten in der Landshuter Altstadt, deren Anmut nicht den geringsten Anlass zur Traurigkeit bietet. Vielmehr verströmt diese breite Häuserflucht mit ihren Laubengängen eine geradezu magische Atmosphäre aus italienischer Leichtigkeit, bayerischer Lebensfreude und mittelalterlicher Grandezza.
Das kaskadenartig aufsteigende Hauptportal der Martinskirche, um 1450 entstanden, ist ein zentraler Topos der Altstadt. 542 Jahre ist es jetzt her, dass hier ebenfalls ein Mädchen geweint hat. Es war eine 18-jährige Prinzessin aus Polen, die durch dieses Tor zur Vermählung geleitet wurde. 1200 Gefolgsleute hatten sie mit einem Tross von Planwagen und 640 Pferden in einer monatelangen Reise von Krakau nach Landshut gebracht. Ihre Augen seien voller Tränen gewesen, schreibt ein Augenzeuge. Königstochter Hedwig, die Braut der Landshuter Hochzeit von 1475, ahnte: Ihre Heimat würde sie nie wieder sehen.
Freilich, wenn es um das große Ganze geht, sind die Befindlichkeiten einer jungen Frau meistens nachrangig. Die Vermählung der Tochter des polnischen Königs Kasimir IV. und des Sohnes des Bayernherzogs Ludwig des Reichen war ausschließlich politisch motiviert. Die Türken drohten damals das Abendland zu überrennen, die christlichen Kräfte Europas mussten sich notgedrungen zusammentun. Wie sagte der Markgraf Albrecht Achilles bei der Begrüßung der Braut: Diese Ehe sollte „ein Nutz sein für Christenheit und Reich“.
Heute gilt die Landshuter Hochzeit von 1475 als eines der schillerndsten Feste des Mittelalters. Allerdings ist von anderen Festivitäten aus jener Zeit nur wenig überliefert, die Kenntnisse über deren Opulenz sind also dürftig. Gewiss wäre auch das Gedenken an die Landshuter Hochzeit im Strom der Zeit versiegt, gäbe es da nicht eine Besonderheit. „Kein Fest des späten Mittelalters ist so gut dokumentiert wie dieses“, sagt Franz Niehoff, der Leiter der städtischen Museen. Und nicht zu vergessen: Schon seit 1903 zelebrieren die Landshuter alle paar Jahre ein Festspiel, das die Erinnerung an dieses historische Großereignis bestens pflegt und nährt.
Rein gefühlsmäßig kann ein Mensch der Jetztzeit kaum tiefer in das Mittelalter eintauchen als beim Festspiel „Landshuter Hochzeit 1475“. Kein anderes Mittelalterspektakel erreicht diese atmosphärische Tiefe. „Die Förderer“, so heißt der ausrichtende Verein, achten streng darauf, dass die Akteure so originalgetreu wie möglich agieren. Uhren, Eheringe, Brillen und Smartphones sind tabu, ebenso das Rauchen und das Kochen mit Tomaten und Kartoffeln, denn diese Annehmlichkeiten gab es 1475 noch nicht. Um die Kostüme, die Requisiten, die Musik und die Ritterspiele stimmig bis ins kleinste Detail umzusetzen, recherchieren Wissenschaftler und Experten seit Jahren in Archiven, Rüstkammern und Museen in ganz Europa.
Die Authentizität des Spiels beruht auf einer weiteren Grundlage: Das alte Landshut sieht im Wesentlichen noch so aus wie im Jahr 1500. Ein Glücksfall der Geschichte, der ironischerweise daher rührt, dass die Stadt später ihre Macht verlor und ihr das Geld ausging. Nur deshalb können die Landshuter vor einer originalgetreuen Kulisse Mittelalter spielen. „Im 15. Jahrhundert war Landshut noch eine reiche Stadt“, sagt Gerhard Tausche, der Stadtarchivar. Stolze 60 000 Gulden, gut zwölf Millionen Euro, ließ sich Herzog Ludwig die Hochzeit seines Sohnes kosten, alle Einwohner und Gäste wurden eine Woche lang zechfrei gehalten. „Er zahlte das praktisch aus der Portokasse“ sagt Tausche, nicht umsonst hatte Ludwig den Beinamen der Reiche. Die Reichen Herzöge von Landshut, drei an der Zahl, regierten von 1393 bis 1503. Ihr Reichtum resultierte aus fruchtbaren Äckern und aus einer Fülle von Rohstoffen wie Salz und Kupfer. Zudem fußte ihre Prosperität auf einer modernen Verwaltung, mit deren Hilfe sie ihre Einnahmen effizient organisierten. „Den Menschen im Herzogtum ging es gut“, sagt Tausche.
Trotzdem werden die Hochzeitsgäste von 1475 nicht alle so fröhlich gewirkt haben wie die Teilnehmer des sommerlichen Festspiels. Damals wurde mitten im November geheiratet, es hat geregnet. „Kule Wedder was“, ist im Bericht des Hochzeitsgastes Johann Gensbein zu lesen. Die 8000 Landshuter mussten in ihren nur mit grobem Ziegelputz gedämmten Häusern eng zusammenrücken, um die 18 000 Hochzeitsgäste, von denen Gensbein spricht, bei sich aufzunehmen.
Eines der damaligen Häuser dient dem Verein der Förderer als Domizil. Das alte Stethaimer-Haus steht direkt neben der Martinskirche. Von 1406 bis 1415 lebte darin der Kirchenbaumeister Hans von Burghausen, der die Martinskirche gebaut hat, wenngleich der Kirchturm, oft gerühmt als höchster Backsteinturm der Welt, erst nach der Landshuter Hochzeit vollendet wurde. Ernst Pöschl ist seit elf Jahren Vorsitzender der Förderer, die mit ihren 7000 Mitgliedern einen gewichtigen Faktor im Stadtleben bilden. Wie so viele der 760 Häuser im historischen Stadtkern ist das Stethaimer-Haus pures Mittelalter. Pöschl bezeichnet es als sein „zweites Arbeitszimmer“. Tatsächlich bietet es eine fantastische Inspiration. Allein schon die alten Fachwerkstrukturen an den Innenwänden, dazu der Blick auf die Backsteinmauern der Martinskirche. Visuell bewegt man sich in diesem Gebäude weit mehr in der Gotik als in der Jetztzeit.
Doch die Realität holt Pöschl schneller ein, als ihm oft lieb ist. Seit gut einem Jahr laufen die Vorbereitungen für das Festspiel 2017 „in hoher Taktzahl“, wie er sagt. Der Druck ist groß: „In der heißen Phase werde ich fast jede Nacht wach“, sagt Pöschl. Fast 2500 Teilnehmer, die Logistik, die Vermarktung, es ist eine Mammutaufgabe, alle vier Jahre eine solche dreiwöchige Veranstaltung für mindestens eine halbe Million Besucher vorzubereiten. Das Fest entschädigt indessen für alle Strapazen. „Es gibt nichts Vergleichbares“, schwärmt Pöschl, die Stadt wird in der Festspielzeit von einer riesigen Begeisterung ergriffen. Es herrscht quasi Ausnahmezustand. Die Landshuter Hochzeit ist ein Fest der Sinne. Besucher, Musikgruppen und Gaukler bilden auf den Tribünen der Altstadt eine spektakuläre Mischung. Dass man in der Eisdiele neben festlich gekleideten Fürsten und fein herausgeputzten Edeldamen hockt, ist ganz normal.
Natürlich gibt es auch Landshuter, denen die Wucht dieses Spektakels auf die Nerven geht. Sie suchen, wenn es irgendwie geht, in diesen Wochen das Weite. Pöschl mimt übrigens keineswegs einen hohen Würdenträger. „Ich trage ein graues Bürgerkostüm, wie alle Vorstände“, erklärt er. Nur eines leistet er sich: eine weiße Reiherfeder auf dem Hut. Das hatten die Bürger 1475 nicht, nur die Großkopferten trugen sie, der Reiher war ein teurer Vogel.
Auch der Rathausprunksaal ist ein erhabenes mittelalterliches Relikt, er schlägt gleichsam eine Brücke zwischen der alten und der neuen Hochzeit. Dort hatte die Hochzeitsgesellschaft von 1475 tatsächlich getanzt. Damals, so sagen die Quellen, gab es von hier aus einen Durchgang in das Nachbargebäude, in dem unter Aufsicht das Beilager der Eheleute stattfand. Die Umgestaltung des Saals im Jahr 1875 war dann der entscheidende Schritt für die Neuauflage der Hochzeit als Festspiel. Vier Münchner Maler schufen damals Wandfresken mit Motiven und Szenen des Hochzeitszuges von 1475. Diese Bilder motivierten die Landshuter letztlich zum Nachspielen der Fürstenhochzeit.
Mittlerweile zählt das Festspiel „Landshuter Hochzeit 1475“ zum immateriellen Kulturerbe des Landes Bayern, nicht gerade ein Grund, Landshut künftig zu meiden.
Dabei ächzt die Stadt längst unter ihrer Attraktivität. Sie leidet bereits unter ähnlichen Verkehrs- und Wohnproblemen wie alle Städte im Münchner Speckgürtel. Die Illustrierte Stern kürte Landshut soeben zu einem der schönsten Ausflugsziele Deutschlands.
Das galt auch schon 1475. Nur: Danach ging es damals abwärts. Da dem Brautpaar kein männlicher Nachkomme beschieden war, endete nach dem Tod Georgs die Ära der Reichen Herzöge. Der folgende Erbfolgekrieg leitete den Abstieg Landshuts ein und den bis heute fortdauernden Aufstieg Münchens.
Hans Kratzer
Die Haute Couture des Mittelalters
Im Grunde genommen sind Ritter doch sehr empfindliche Gestalten. Wenn man sie überhaupt berührt, dann bitte nur mit Samthandschuhen. Andernfalls fangen sie sofort zu rosten an. „Bitte verschonen sie unsere Ritter“, mahnt deshalb ein Schild am Eingang zur Rüstkammer des Landshuter Zeughauses. Drinnen schimmern silbrig die Hightech-Panzer des späten Mittelalters, darunter neuerdings auch der Prunkharnisch des Ulrich von Breitenstein, einst Marschall am Hof von Ludwig dem Reichen.
Eine steinerne Grabplatte in der Heiliggeistkirche zeigt ihn, wie er andächtig niederkniet. Das Epitaph diente als Vorlage für ein Rüstungsprojekt im wahrsten Sinne: Fast 50 000 Euro sammelten die Förderer ein, damit Plattner Heinz Schaupp das Blechkleid Breitensteins in jahrelanger Arbeit bis ins Detail nachbauen konnte. Rechtzeitig zur Landshuter Hochzeit 2017 ist der Breitenstein-Harnisch fertig geworden. Stefan Schmid darf ihn auftragen, eine Ehre und große Last zugleich, so um die 40 Kilo schwer.
Wenn es um die möglichst perfekte Inszenierung des Mittelalters geht, dann ist den Landshutern kein Aufwand zu groß. 2500 Kostüme lagern im eigens errichteten Zeughaus neben dem Turnierplatz. Schuhe, Hauben, Beinlinge, Taschen, Hüte – alles sauber katalogisiert, geordnet nach Rollen und mit Hinweistafeln versehen: Gesandte der Reichsstädte, Geharnischte mit Ahlspießen, Stadtpfeifer, Hofköche und vieles mehr. Über den Fundus wachen der Latein- und Deutschlehrer Stefan Härtl und seine insgesamt 30 Kammerfrauen und -herren. Es gelten strenge Grundsätze. Regel eins: Das Kostüm kommt zum Träger, der für eine bestimmte Rolle ausgewählt wird. Regel zwei: „Nur was hier gelagert wird, darf auch getragen werden“, sagt Härtl. Fantasy-Klamotten sind verpönt, das gilt selbst für Zuschauer. Nun gut, bei Gummihosenträgern drücken sie ein Auge zu, weil Männern sonst das Hinterteil ihrer Beinlinge arg weit herunterhängt.
Härtl und seine Mitarbeiter haben in den vergangenen Jahrzehnten ihr Wissen stetig erweitert. Inzwischen sind sie Experten für die Mode aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geworden. Ein sehr spezielles Segment der Geschichtswissenschaft, das in Ordnern aufbewahrt wird. Darin befinden sich auch die Skizzen des Landshuter Malers und Grafikers Franz Högner. Er beschrieb in den Siebzigerjahren als Erster die Gewänder, wie sie um das Jahr 1475 getragen wurden. Als Vorlage dienten ihm unter anderem zeitgenössische Gemälde und Statuen. Högners Grundstock wurde später von Karl und Antonie Schad wesentlich ergänzt. Das Ehepaar forscht seit vielen Jahren vor allem in Bayern und Südtirol nach historischen Quellen. Auf der Burg Manta beispielsweise studierten sie ein Fresko aus dem späten 15. Jahrhundert, das neun Heldinnen darstellt. Was sie sahen, dokumentierten sie unter Punkt 199/14 penibel auf mehreren Seiten: „Das Kleid ist nach Burgundischer Mode gearbeitet. Vermutlich trägt sie einen Surkot der 1. Stufe. Knappe, nur die Arme durchlassende Armlöcher.“
Es sollte die Vorlage werden für eine spektakuläre Kopfbedeckung: Den Hut aus dem 550 Jahre alten Fresko in Manta trägt nun Petra Hermann – sie verkörpert Herzogin Amalie. Ein Kunstwerk, das in Rot und Gold schimmert und von einer Tunika, dem Surkot, ergänzt wird. Daneben wirkt die Mode des 21. Jahrhunderts geradezu ärmlich. Ein grauer Anzug mit Krawatte – damit hätte man es 1475 allenfalls zum Pferdeknecht gebracht.
Sebastian Beck
Foto: Julia Rotter
Für drei Wochen das Traumpaar von Landshut
Stephanie Müller kann sich noch gut an diesen Moment vor vier Jahren erinnern. Sie stand als Brautpage auf dem Dreifaltigkeitsplatz und wartete ungeduldig darauf, dass sich der Hochzeitszug vor ihr in Bewegung setzte. Eine weite Linkskurve am oberen Ende des Platzes versperrte ihr die Sicht auf die wartenden Zuschauer. Aber sie konnte das euphorische Stimmengewirr aus „Hallooo!“ und „Es lebe Landshut!“ bereits deutlich hören. „Dieser Moment ist ein überwältigendes Gefühl“, sagt Stephanie. „Der ganze Platz bebt, und ich konnte es kaum erwarten, endlich loszulaufen.“
Jetzt ist es wieder so weit. Nur, dass sie nicht mehr Brautpage, sondern die Hauptdarstellerin ist – eine größere Ehre kann sich die 19-jährige Landshuterin kaum vorstellen. Damals hätte sie nie gedacht, dass sie einmal selbst die Braut Hedwig von Polen spielen dürfe, sagt sie heute. Die Rolle wurde ihr aber gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn Stephanie kam am 14. Juli 1997 zur Welt – dem dritten Wochenende der Landshuter Hochzeit. Seitdem hat sie jedes Mal mitgemacht. „Natürlich habe ich die Gerüchte darüber gehört, wer im engeren Kreis der Wahl ist“, erzählt sie. „Mein Name war auch dabei, und trotzdem konnte ich es erst glauben, als Ernst Pöschl persönlich vor meiner Tür stand.“
Pöschl ist Chef des Vereins „Die Förderer“, dem Veranstalter der Landshuter Hochzeit. Es ist Tradition, dass der Vorstand bei Braut und Bräutigam persönlich vorbeikommt, um bei deren Eltern sozusagen um die Hand anzuhalten. Denn im Gegensatz zu allen anderen Rollen des Festes kann man sich auf die prominente Rolle des Brautpaars nicht bewerben. Die zwölf Mitglieder des Vorstandes entscheiden, wer Hedwig und wer Georg spielen darf.
Manchmal fällt die Entscheidung auf eines ihrer Kinder, wie bei Felix Feigel, dem diesjährigen Bräutigam. Genau wie Stephanie Müller hat auch er schon mehrmals mitgespielt. Der 20-Jährige war Mitglied der Kindergruppe, Fanderlzieher und Turnierhelfer. Zusammen mit Stephanie ist Felix der Star der Landshuter Hochzeit. Entsprechend langwierig sind die Vorbereitungen. Um möglichst authentisch zu wirken, verbringen die beiden schon Monate vorher fast jeden Tag mit Reitstunden, Kostümproben oder Tanzunterricht.
„Step, kick, knees. Step, kick, knees!“, ruft der belgische Tanzlehrer Lieven Baert in die Runde aus 17 Jugendlichen. Sie werden bald Junker und Edeldamen spielen; auch Stephanie und Felix proben mit. Zum Aufwärmen läuft Jazzmusik, mit konzentrierten Blicken versuchen die Jugendlichen den Schritten des Tanzlehrers zu folgen. „Jetzt bitte zum Partnertanz aufstellen!“, ruft Baert und wechselt die CD. Pauken, Flöten, Trompeten und Lauten erfüllen den Raum. Stephanie und Felix stellen sich mit etwa eineinhalb Meter Abstand gegenüber, machen einen Knicks, gehen einen Schritt nach vorn und wieder zurück, heben den rechten und dann den linken Arm, drehen sich im Kreis. „Und lächeln, und angucken. Denkt an die Hände!“ ruft ihnen Baert entgegen. Mit Kastagnetten in der Hand betont er den Takt der mittelalterlichen Musik und schlängelt sich mit kritischem Blick zwischen den tanzenden Paaren hindurch. „Leute, die Schritte müssen sitzen! In zwei Wochen proben wir schon auf der Bühne“, ermahnt er seine Schüler, deren Gesichter jetzt immer röter werden.
Auch wenn sie die vielen Proben anstrengen, auf das Tanzen freut sich Stephanie Müller besonders. Ihr künftiger Gemahl hat dagegen Respekt davor. „Meine größte Angst ist es, auf Stephanies Schleppe zu treten“, sagt er. Noch schaut er nicht wie ein mittelalterlicher Bräutigam aus. Er trägt Sneakers und Hemd, an seinem rechten Arm glänzt eine große Uhr, eine hellblaue Kappe, die er verkehrt herum trägt, hält seine schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Die Kappe trägt er zum Unwohl seines Vaters, wie er sagt, „aber es hilft ja nichts.“ Seit etwa einem Jahr lässt er sich seine blonden Haare auf Mittelalterlänge wachsen. In Landshut fällt Feigel damit nicht auf. Doch sobald er anderswo unterwegs ist und von seinem Engagement erzählt, wird er schnell komisch angeschaut. „Viele können nicht verstehen, warum die Aufführung für mich eine so große Sache ist“, sagt er. Stephanie zeigt ihren Bekannten außerhalb Landshuts dann Bilder von alten Aufführungen. „Damit die verstehen, dass wir nicht in solchen pseudo-mittelalterlichen Kostümen rumrennen, sondern dass das hier schon professionell ist.“ Schließlich hoffen die Landshuter darauf, dass die Hochzeit zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt wird. „Ich finde es schwer, meine Faszination für das Fest in Worte zu fassen, denn es geht auch um das Gefühl und die Stimmung“, sagt Stephanie.
Und um Tradition. Beide Familien engagieren sich seit Generationen im Verein „Die Förderer“. Stephanies Großvater war im Vorstand, führte einst Regie und ist heute im Archiv des Vereins tätig. Beide Großmütter kümmern sich um den Kostümfundus, ihre Eltern sind seit 1973 bei allen Aufführungen aktive Teilnehmer. Felix Feigels Vater ist seit zehn Jahren Mitglied der Vorstandschaft und engagiert sich unter anderem als Co-Regisseur. „Mein Vater investiert so viel Zeit in diesen Verein“, sagt Felix. „Natürlich möchte ich ihn mit meiner Rolle stolz machen und ihm dadurch was zurückgeben.“
Stephanie kann sich ein Leben ohne Landshuter Hochzeit nicht vorstellen. „Man wächst da eben von klein auf rein“, sagt sie. „Ich wurde nie gezwungen, hier mitzumachen. Aber ich wäre echt unglücklich, wenn man mir die Möglichkeit nehmen würde.“ Letztes Mal, beim Abschlussgottesdienst 2013, musste sie sogar weinen, weil sie so ergriffen war. „Ich war einfach so traurig, dass ich jetzt vier lange Jahre warten muss, bis die Landshuter Hochzeit wieder stattfindet.“ Sollte sie dieses Jahr wieder in Tränen ausbrechen, wäre das nicht tragisch. In einem historischen Bericht über Hedwig heißt es: „Nachdem die Jungfrauen sie nach ihrer Landessitte geschmückt hatten, führten sie die Königin hinauf zum Hochaltar. Und sie weinte gar sehr.“
Johanna Sagmeister