Pallasseum - 13:30 Uhr

Hausmeister André Bojahr macht seinen Kontrollgang


Manchmal fühle er sich wie eine Puffmutter, sagt André Bojahr zu Beginn seines Kontrollgangs. Wenn sie zu ihm kommen mit ihren Wehwechen. Wenn sie ihn nachts wieder anrücken lassen, weil was nicht stimmt im Pallasseum. Jetzt aber steht Bojahr, breit gebaut, tätowierter Unterarm, auf dem Dach des höchsten Gebäudes des Pallasseums. Er blickt über Berlin, zieht an seinem Nikotin-Verdampfer, und wirkt dabei wie ein stolzer Papa, der dem Besuch sein Baby zeigen darf. Er sagt: "Ich kann mir nicht mehr vorstellen, woanders zu arbeiten."

Nora Heinisch

André Bojahr, 45, ist Technischer Leiter im Pallasseum. Der Mann, der da ist, wenn Rohre lecken, Fenster nicht dicht oder die Abflüsse verstopft sind. Der Mann, der die riesigen Betonklötze, ihre Gänge und verborgenen Winkel kennt wie kein anderer. Und kein anderer trifft an einem Tag so viele Bewohner des Gebäudes. Wer das Pallasseum besser verstehen will, muss Bojahr fragen.

Seinen Kontrollgang macht Bojahr jeden Tag. Es ist halb zwei, auf dem Dach des 13-stöckigen Hauptbaus prüft er gerade, ob die Antennen in Ordnung sind. Oder Sprayer wieder die Wände beschmiert haben. Alles okay heute.

Nächster Stopp: Dachgeschoss, Heizraum. Fünf große Gaskessel stehen dort, sie versorgen die Bewohner des Pallasseums mit Wärme. Bojahr prüft, ob die Brenner funktionieren. Falls nicht, müssen die rund 2000 Menschen im Gebäude mit kaltem Wasser duschen.

Wer Bojahr begleitet, merkt: Das Pallasseum ist wie ein riesiger Körper, mit Rohren, die sich wie Adern durch den Beton ziehen. Und Bojahr ist der Arzt, der täglich zur Visite kommt. "Das Gebäude ist so groß. Wenn ich unten fertig bin, könnte ich oben gleich wieder anfangen", sagt er.

Wenn der Hausmeister von seinem Pallasseum spricht, dann klingt das zunächst genervt. Etwa wenn er es "Hotel Pallas" nennt, in dem sich die Bewohner wie anspruchsvolle Gäste aufführen würden. Oder wenn sie ihn nachts aus dem Bett klingeln, weil die Satellitenschüssel nicht funktioniert. Dabei gehört das gar zu nicht seinen Aufgaben. Trotzdem schläft er mit dem Handy neben dem Kopfkissen, falls es doch mal was Ernstes gibt.

Nach der ersten Aufregung spricht Bojahr dann ganz sanft und warm von seinem Pallasseum. Es sei ihm ans Herz gewachsen, sagt er. Er liebt es, wie ein Berliner eben liebt: erst anschnauzen, dann anhimmeln.


Wenig später und einige Stockwerke tiefer steht Bojahr in einem engen Gang, den er das Herz des Pallasseums nennt. Lampen geben ein wenig Licht. Es gluckert in den silbernen, stammdicken Rohren an der Decke und den Wänden. "Abwasser, von gefühlt 500 Bewohnern", sagt Bojahr. Er prüft, ob die Rohre dicht sind, dann verlässt er den Raum in Richtung Tiefgarage.

Vor 15 Jahren wurde Bojahr Technischer Leiter des Pallasseums. Zuvor hatte er für einen Handwerker-Betrieb immer wieder in den Werkstätten des Gebäudes gearbeitet, kümmerte sich um Heizungen und Rohrbrüche. Jetzt ist er der Verantwortliche hier. Drei ansässige Hauswarte übernehmen, wenn Bojahr gerade nicht Dienst hat.

Tiefgarage, letzte Station des Kontrollgangs. Bojahr läuft zwischen den parkenden Autos hindurch, zeigt erst auf das eine, dann wieder auf ein anderes. "Das hier gehört einem Autohändler, manchmal hat der auch Ferraris oder Maseratis hier stehen. Und der hier handelt mit Spielautomaten." Im Pallasseum wohnen längst nicht mehr nur die Armen. "Der Autohändler hat seine Wohnung für 25.000 Euro ausgebaut. Der hier hat in seiner Mietwohnung Fliesen legen lassen."

Bojahr schaut aber vor allem, ob ihm Autos fremd sind, das würde ihn misstrauisch machen. In diesen Fällen klemmt er einen Brief an die Scheibe und schießt mit seinem Smartphone ein Bild.

Bojahr kennt im Pallasseum fast jeden. Wird zum Frühstück eingeladen und zu Hochzeiten. Hört hinter den Haustüren die Geschichten, von Söhnen, die im Gefängnis sitzen oder in Kriegen verstorben sind.


Gegen 15 Uhr verlässt er das Gebäude ins Freie, Sonnenstrahlen tasten über sein Gesicht. Er hat bald Feierabend, fährt nach Hause an den Rand der Stadt. Er selbst würde hier nicht wohnen wollen, sagt er. Nicht nur, weil er kein Stadtmensch sei. Er wolle ja auch mal Feierabend. Und das sei schwer genug: "Jedes Mal, wenn ich in die Türkei in den Urlaub fliege, sitzt ein Mieter mit im Flugzeug. Es kam auch schon vor, dass sie mich beim Schwimmen im Hotelpool gegrüßt haben", sagt Bojahr und lacht.

Der Hausmeister scheint es zu merken: Ob er will oder nicht, so ganz wird ihn das Pallasseum wohl nie mehr loslassen.

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