Bundestag

Wo sind sie jetzt?

Im Oktober 2013 löste sich die FDP-Fraktion auf. 93 Abgeordnete standen auf der Straße. Wie ist es ihnen seither ergangen?

von Roman Deininger und Jan Schwenkenbecher

Das Leben nach der Politik? Süß! Der eine wird Vorstand bei der Bahn, der Nächste Aufsichtsrat bei den Russen. Und selbst für den Letzten findet sich irgendein netter Lobbyisten-Job. Oder?

Als die FDP bei der Bundestagswahl 2013 auf 4,8 Prozent abstürzte, war das für viele Abgeordnete ein Schock. Bis zuletzt hatten Umfragen die Partei über der Fünf-Prozent-Hürde gesehen. Dann standen 93 Liberale – und ihre Mitarbeiter – auf der Straße. Vier Jahre später hat die SZ versucht, die Ausgeschiedenen zu kontaktieren – die allermeisten hat sie erreicht. Viele haben sich gefreut, endlich mal wieder von einem Journalisten angerufen zu werden. „Aus dem Bundestag zu fliegen, ist ein brutaler Einschnitt“, sagt ein Ex-Abgeordneter, „für die Karriere, aber auch fürs Selbstwertgefühl. Einige Kollegen tun sich immer noch schwer, ins normale Leben zurückzufinden. Es gibt nur keiner gern zu.“

Das normale Leben kennen Bundestagsabgeordnete ja kaum mehr. Sie haben fünf Mitarbeiter, einen Diplomatenpass und eine Bahncard 100. Aber was ist, wenn das alles wegfällt? Wenn die Einladungen ausbleiben, und die Presseanfragen. Manche der 93 haben feststellen müssen, dass ihre Partei sie nicht mehr ganz so dringend braucht, wie sie das angenommen hatten. Einzelne fühlen sich zur Seite gedrängt; andere schwärmen am Telefon minutenlang von Christian Lindner im Unterhemd.

Und die lukrativen Posten? Kriegen am Ende doch nur die früheren Minister und Staatssekretäre. Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr sitzt im Allianz-Vorstand, Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel ist Waffenlobbyist. Aber man kann wirklich nicht behaupten, dass viele der 93 ihre Seele verkauft hätten. Klar, für einige Seelen mag es auch an Angeboten gefehlt haben.

Es ist nicht so, dass man sich sorgen müsste um die Damen und Herren von der FDP, um ehemalige Abgeordnete gleich welcher Partei. Ausgesorgt hat aber auch niemand. Ex-Mitglieder des Bundestags bekommen Übergangsgeld, im Grunde ihre alten Diäten – für jedes Jahr im Parlament einen Monat lang. Das ist durchaus nötig, denn ein Bäcker oder Sanitäter hat nicht viel vom Lebenslauf-Eintrag „MdB“. Im Zivilberuf wirft sie die Abwesenheit von vier, acht oder gar zwölf Jahren eher zurück. Andere kassieren bei Bewerbungen auf ganz normale Jobs Absagen, weil sie für überqualifiziert gehalten werden.

Große Parteien haben natürlich Möglichkeiten, ihre Leute unterzubringen, irgendwo in der Tiefe der Organisation, in befreundeten Verbänden oder Stiftungen. Bei kleinen Parteien sind diese Möglichkeiten beschränkt – und bei einer kleinen Partei, die aus dem Bundestag geflogen ist, na ja. „Ein bisschen mehr Beistand durch die FDP“, sagt eine Ex-Abgeordnete, „hätte ich mir schon gewünscht.“ Oder vom Bundestag selbst: „Warum gibt es keine Coachings, die einen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?“

2014 erschien eine Studie, für die 50 Ex-Abgeordnete mehrerer Parteien befragt worden waren: Jeder fünfte gab an, weniger als 30 000 Euro im Jahr zu verdienen. Karrierekiller Bundestag? Klingt trotzdem arg dramatisch.

Das Schöne ist, dass fast alle Ex-Abgeordneten mit großer Ernsthaftigkeit von ihrer Zeit in der Politik sprechen, von dem Privileg und der Verantwortung, Volksvertreter zu sein. 25 der 93 kandidieren in diesem Jahr wieder. Falls die FDP es zurückschafft ins Parlament, wären 20 von ihnen dank guter Listenplätze wohl mit dabei. Das Leben nach dem Bundestag soll für sie nur das Leben vor dem Bundestag sein.

Immer wieder sonntags

Wann für ihn der Tag beginnt, und wann er endet, das weiß Jörg von Polheim gar nicht so genau. Seine erste Schicht in der Backstube fängt jedenfalls um halb zwei in der Früh an. Halb Zwei, das war ungefähr die Zeit, zu der er in Berlin ins Bett gegangen ist. Längeres Aktenstudium am Schreibtisch? Für einen Bäcker kein Problem. Von Montag bis Freitag saß Polheim in seinem Bundestagsbüro, am Samstag fuhr er die 550 Kilometer nach Hause nach Hückeswagen, tief im Bergischen Land, 15 000 Einwohner. Und dort stellte er sich am Sonntag ganz selbstverständlich an den Ofen. Jörg von Polheim sagt: „Wenn man Dinge gerne macht, dann geht das.“

Natürlich tat ihm das Bundestags-Aus seiner FDP bitter weh.

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