Der Facebook-Faktor

Wie das soziale Netzwerk die Wahl beeinflusst

Von Jannis Brühl, Katharina Brunner und Sabrina Ebitsch

Vor ein paar Jahren war Facebook noch ein soziales Netzwerk, das vor allem sozial war. Auf Facebook hat man Dinge gelikt, die einem vielleicht sogar gefallen haben. Man hat alte Schulfreunde gesucht und neue Bekanntschaften gefunden. Privates über Menschen erfahren, die man privat nicht kennt. Heute ist Facebook mehr als ein soziales Netzwerk. Facebook ist Marktplatz, Werbefläche, Durchlauferhitzer für Unterhaltung und Information. Facebook ist ein Schlachtfeld für politische Auseinandersetzungen, auf dem um Meinungen, Stimmungen, Fakten gerungen wird - um nicht weniger als die Wahrheit. Oder was fast zwei Milliarden Facebook-Nutzer dafür halten. Konservative gegen Liberale. Nationalisten gegen Weltbürger. Die Mitte gegen den Rand. Rechts gegen links. Facebook ist eine der wichtigsten Arenen im Kampf um politische Deutungshoheit geworden.

Es ist Wahljahr in Deutschland. Wer 2017 Wahlen gewinnen will, muss nicht mehr nur an Ständen mit Gratis-Kugelschreibern und beim Besuch in der Fertigungshalle des größten Arbeitgebers im Wahlkreis überzeugen. Wahlkampf findet auch auf Facebook statt. Und die Betonung liegt auf “Kampf”.

Lange haben die Parteien mit dem digitalen Wandel und sozialen Netzwerken gefremdelt, nun begreifen sie: Der Wahlkampf muss sich radikal verändern. Politiker kommunizieren mit den Bürgern direkt, blitzschnell und ständig. Und die Bürger äußern sich ausgiebig - mal fundiert, mal lautstark, mal wütend. Mobilisierung von Wählern gehorcht den alten Regeln der analogen Demokratie nicht mehr. Und wem Nutzer folgen, richtet sich nicht mehr nach dem Status in der analogen Welt.

In kürzester Zeit werden Themen in die Debatte gespült - und verschwinden wieder. Traditionelle Institutionen verlieren die Kontrolle über Debatten. Neugegründete, auf Viralität spezialisierte Nachrichtenseiten mischen mit; neue Influencer tauchen auf, die keine Partei brauchen; Bots - automatisierte Software, getarnt als Accounts echter Menschen - verbreiten Nachrichten ebenso wie Desinformation.

Die politische Landschaft Facebooks

Der Newsfeed, der zentrale Strom des Neuen auf Facebook, bündelt für jeden Nutzer nicht nur die Beiträge seiner Freunde, sondern auch die Posts abonnierter Seiten. Er ist viel mehr als eine digitale Wand, an der Wahlplakate hängen. Er dient auch als Kanal für Forderungen, Meinungen, Fakten, Hass - informationelle Anarchie, die ein geheimer Algorithmus filtert und sortiert. Welchen Einfluss hat dieser Algorithmus? Welche Rolle spielt das Phänomen “Filterblase”? Wie funktioniert der politische Raum Facebook? Die Süddeutsche Zeitung hat diesen Raum in einer großen Recherche über Monate vermessen, um besser zu verstehen, wie er politisch genutzt wird und welche Akteure welche Rolle spielen.

Die SZ-Datenrecherche beginnt mit den Leuchttürmen in der politischen Landschaft von Facebook - den Seiten der sieben Parteien, die eine realistische Chance auf den Einzug in den Bundestag haben: Linkspartei, Grüne, SPD, FDP, CDU, CSU, AfD. Die Recherche führt über öffentliche Interaktionen auf diesen Seiten zu einem weitverzweigten Netzwerk von Seiten, Themen und Vorlieben der Nutzer.

Drei Gigabyte Daten, insgesamt mehr als eine Million Likes von 5000 Facebook-Nutzern ergeben ein umfassendes Bild der bundespolitischen Sphäre auf Facebook. Die Analyse der Daten zeigt, wie digital Politik gemacht wird, was an den Wänden der Echokammern von der Linken bis zur AfD angeschlagen ist - und warum Filterblasen in Deutschland keine große Rolle spielen.

Mehr über unsere Vorgehensweise und die Datenanalyse erfahren Sie hier:

Das ist ein zentrales Ergebnis der Analyse: Dicht versiegelte Filterblasen, in denen Nutzer ausschließlich mit zur eigenen Einstellung passenden Informationen konfrontiert werden, gibt es auf politischer Ebene im deutschen Facebook praktisch nicht. Vor und nach der US-Präsidentschaftswahl waren diese Blasen angeprangert und für immer extremere Polarisierung verantwortlich gemacht worden. Auf Facebook finden sich aber zwischen den Milieus aller deutschen Parteien Verbindungen.

Einzige Ausnahme ist die AfD, deren Sphäre von denen aller anderen Parteien klar isoliert ist. In dem weiten politischen Netz, das die animierte Grafik unten zeigt, bleibt um das AfD-Milieu herum viel Weißraum. Das ist auch deswegen aussagekräftig, weil die räumliche Nähe der Knotenpunkte im Netzwerk sich nach der Anzahl der Verbindungen richtet: Je näher zwei Punkte, also Facebook-Seiten, einander sind, desto mehr direkte Verbindungen - desto mehr Nutzer haben also die beiden Seiten gelikt. Die grundsätzliche Ablehnung des übrigen politischen und medialen Systems von rechter Seite schlägt hier nieder. Trotzdem ist auch das AfD-Milieu nicht hermetisch in einer Filterblase abgeschottet, sondern hat Verbindungen nach außen - wenn auch wenige. Die AfD verharrt eher in einer Echokammer, wie sie fürs Radio genutzt wird, um einen Halleffekt zu erzeugen. Auf das Internet übertragen: in einem abgegrenzten Resonanzraum, in dem Äußerungen im Inneren bleiben und dort verstärkt werden.

In der Visualisierung der Daten erscheint die CSU-Sphäre fast wie eine Brücke zwischen rechtsaußen und dem Ballungsraum um die politische Mitte. Kritiker werfen den Christsozialen schon lange vor, rechtspopulistisches Gedankengut zu verbreiten und es so salonfähig zu machen. Die Ergebnisse der Datenanalyse bestätigen zumindest, dass es teils starke Überschneidungen bei den Politikern und Seiten gibt, die sowohl CSU- wie auch AfD-Anhängern wichtig sind. 

Der Rest des Parteienspektrums dagegen, von der CDU bis zur Linken, liegt im Netzwerk relativ nah beieinander - die politische Mitte ist auf Facebook ein dichtes Gewebe, um das sich die fünf Parteien fast kreisförmig gruppieren. Man könnte fast von einer weiteren, wenn auch ungleich größeren und diverseren Echokammer der breiten Mitte sprechen.

Die Animationen geben einen Überblick über die wichtigsten Thesen der Recherche. Mehr lesen Sie hier:

Die politische Landschaft des sozialen Netzwerks ist das eine. Aber auch in der eigenen kleinen Facebook-Welt ist es mitunter gar nicht so leicht zu beurteilen, welche politische Meinungen und Lager sie genau dominieren. In welche Richtung der eigene Newsfeed läuft - und ob die eigene Echokammer eher rot mit hohem Grün-Anteil oder eher schwarz mit einigen blauen Einsprengseln sein könnte. Einen Einblick bekommen Sie durch diesen Test, mit dem Sie ausgewählte populäre Facebook-Seiten mit Ihren Präferenzen abgleichen können (mehr zum Test und seiner Methodik erfahren Sie hier):

Sie haben jetzt vielleicht einen Eindruck davon, wie die Wände Ihrer eigenen Echokammer gesprenkelt sind. Umstritten ist, wie undurchdringlich diese Wände sind, wie sehr sie unsere Wahrnehmung prägen, unsere Meinungsbildung beeinflussen, wie stark sie uns womöglich von (für uns) unbequemen Informationen und Haltungen abschotten. Denn das Phänomen der Filterblasen und Echokammern gab es schon immer - allerdings wächst im Netz die Gefahr, sich in ihnen einzurichten.

Mehr über den Mythos Filterblase lesen Sie hier:

Die Echokammer eines Einzelnen ist allerdings nur ein Element der Blackbox Facebook. Wir wissen im Detail wenig darüber, was in der weltumspannenden, hocheffizienten Maschine vorgeht. Wie die algorithmischen Rädchen ineinandergreifen. Welcher Mechanismus dafür sorgt, dass uns diese Facebook-Gruppe vorgeschlagen wird, jene aber nicht. Welche Systematik genau verhindert, dass der Post des einen Freundes in der Timeline auftaucht, der eines anderen aber nicht. Konzernchef Mark Zuckerberg hält sich bedeckt. Doch es gibt einige Anhaltspunkte, wie Facebook entscheidet, was wir sehen und was nicht:

SZ.de

Facebooks Timeline und mit ihr die Aufmerksamkeit der Nutzer sind hart umkämpft. Wie funktioniert das Kapern dieser Aufmerksamkeit? Was bedeutet es, wenn jeder Bürger mit einem Klick Aktivist oder Propagandist sein kann? Was einen Industriezweig nach dem anderen ereilt hat, trifft nun die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen: Disruption, ausgehend vom Silicon Valley - täglich befeuert von Millionen Nutzern.

Wie Facebook das politische Gefüge verändert, lesen Sie hier:

Digitale Wahlkämpfer arbeiten daran mit, von vernünftigen Bloggern bis hin zu anonymen Facebook-Seiten, die hysterische Propaganda-Videos verbreiten. Und neben den Wahlkämpfern an vorderster analoger Front - Parteichefs, Spitzenkandidaten, Generalsekretären - werden in den Parteien jene, die im Schein der Bildschirme kämpfen, immer wichtiger: Jene, die auf Facebook Stimmen holen sollen. Und die damit mehr oder weniger erfolgreich sind. Die AfD setzt sich in der blauen Arena Facebook durch, weil sie konsequent Regeln bricht, nicht nur die des politischen Konsenses - auch die von Facebook selbst. Sie profitiert digital umso mehr von der populistischen Grundierung ihrer Slogans, die auf Facebook wie ein Brandbeschleuniger wirkt.

Mehr über die Wahlkampf-Strategien der Parteien im Netz lesen Sie hier:

Aber wer die Tür der Echokammer noch nicht hinter sich ins Schloss gezogen hat, ist den Propagandisten und Manipulatoren, Ratten- und Stimmenfängern nicht wehrlos ausgeliefert. Propaganda kann man dechiffrieren, heiße Luft abkühlen. Auch “Fake News” sind nicht der Untergang der Demokratie. Nachrichten lassen sich überprüfen, Fälschungen nachweisen, Bots aufspüren. Der politische Diskurs und der Wahlkampf haben den Schritt ins Digitale vollzogen. Willkommen in der Facebook-Demokratie.

Diese Geschichte teilen: