Neulich stand in Berlin-Charlottenburg ein Mann mit schlohweißem Haar, Militärhemd und einer schwarzen, ausgewaschenen Jeans am Savignyplatz und blinzelte in die Sonne. Es war Josef Koudelka, 79 Jahre alt, der das Licht an diesem Nachmittag für gut befand, nicht ganz unerheblich für einen der besten Fotografen der Welt. Er hatte keine Kamera dabei. Koudelka hatte sie absichtlich im Hotelzimmer liegen lassen. Ein Mann, der sich über jedes seiner Fotos Gedanken macht.
Koudelka war hier, weil das Museum C/O Berlin eine Ausstellung mit seinen Fotografien vorbereitete, Bilder eines großen Fotografen, Mitglied von Magnum, der legendärsten aller Fotoagenturen der Welt. Neben Koudelka stand seine 31-jährige Tochter, Lucina, die ihn für eine Dokumentation die vergangenen drei Stunden ununterbrochen gefilmt und fotografiert und sein Militärhemd auf- und zugeknöpft hatte, verdammtes Ansteckmikrofon. Jetzt holte Lucina wieder ihr iPhone aus der Tasche, knipste Bild um Bild von ihrem Vater. „Sie fotografiert inzwischen mehr als ich“, sagte Koudelka, „wenn alle Leute um mich herum ständig Bilder machen, ekelt mich das an.“ Dann hob er die leeren schweren Hände, formte einen Fotoapparat und drückte ab. Er sagte: „Klick.“
Wie hätte man dem Mann widersprechen können? Die Welt ist ein einziges Fotostudio. Der Mensch fotografiert sich und wird fotografiert: Überall Kameras, Displays, Screens. Es ist dem modernen Ich einfach unmöglich, sich und seine Welt nicht zu fotografieren. Sich seiner Existenz per Selfie immerwährend zu versichern, auch das ist Fotografie.

Martin Parr / Magnum Photos / Agentur Focus
Was aber, wenn man wie Josef Koudelka für die bedeutendste Fotoagentur der Welt arbeitet, die davon lebt, Bilder zu machen, die noch niemand gesehen hat?
Magnum feiert in diesem Jahr Geburtstag, 70 Jahre. Eigentlich ein Wunder. Was ist in der Welt der Fotografie schon geblieben, wie es war? Wir alle machen jetzt Bilder. So viele, dass die Geste des Fotografierens gar nicht mehr wahrgenommen wird. Aber die Agentur Magnum Photos gibt es immer noch, sie ist Kult, die wichtigste Instanz, Fotografenolymp. Wie geht das zusammen?

Es hat alles so harmlos begonnen, so vielversprechend. Das Fotografieren, die Alchemie der Dunkelkammer, war seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer beliebter geworden, die Ausrüstung mit dem Zweiten Weltkrieg aber genauso zerstört wie Städte und Häuser, zumindest die in Europa. Stunde Null, auch für die Fotografie. Was gut erklärte, mit welcher Begeisterung sich ein paar Primadonnen der Szene 1947, im Frühjahr, bei jenem eher informellen Mittagessen im Dachrestaurant des Museum of Modern Art in New York zusammentaten und Magnum gründeten. Magnum wie der Revolver, der Champagner, ein griffiger, harter, nach Brillanz klingender Name, nicht gerade bescheiden.
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