Bundestag

Wo sind sie jetzt?

Im Oktober 2013 löste sich die FDP-Fraktion auf. 93 Abgeordnete standen auf der Straße. Wie ist es ihnen seither ergangen?

von Roman Deininger und Jan Schwenkenbecher

Das Leben nach der Politik? Süß! Der eine wird Vorstand bei der Bahn, der Nächste Aufsichtsrat bei den Russen. Und selbst für den Letzten findet sich irgendein netter Lobbyisten-Job. Oder?

Als die FDP bei der Bundestagswahl 2013 auf 4,8 Prozent abstürzte, war das für viele Abgeordnete ein Schock. Bis zuletzt hatten Umfragen die Partei über der Fünf-Prozent-Hürde gesehen. Dann standen 93 Liberale – und ihre Mitarbeiter – auf der Straße. Vier Jahre später hat die SZ versucht, die Ausgeschiedenen zu kontaktieren – die allermeisten hat sie erreicht. Viele haben sich gefreut, endlich mal wieder von einem Journalisten angerufen zu werden. „Aus dem Bundestag zu fliegen, ist ein brutaler Einschnitt“, sagt ein Ex-Abgeordneter, „für die Karriere, aber auch fürs Selbstwertgefühl. Einige Kollegen tun sich immer noch schwer, ins normale Leben zurückzufinden. Es gibt nur keiner gern zu.“

Das normale Leben kennen Bundestagsabgeordnete ja kaum mehr. Sie haben fünf Mitarbeiter, einen Diplomatenpass und eine Bahncard 100. Aber was ist, wenn das alles wegfällt? Wenn die Einladungen ausbleiben, und die Presseanfragen. Manche der 93 haben feststellen müssen, dass ihre Partei sie nicht mehr ganz so dringend braucht, wie sie das angenommen hatten. Einzelne fühlen sich zur Seite gedrängt; andere schwärmen am Telefon minutenlang von Christian Lindner im Unterhemd.

Und die lukrativen Posten? Kriegen am Ende doch nur die früheren Minister und Staatssekretäre. Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr sitzt im Allianz-Vorstand, Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel ist Waffenlobbyist. Aber man kann wirklich nicht behaupten, dass viele der 93 ihre Seele verkauft hätten. Klar, für einige Seelen mag es auch an Angeboten gefehlt haben.

Es ist nicht so, dass man sich sorgen müsste um die Damen und Herren von der FDP, um ehemalige Abgeordnete gleich welcher Partei. Ausgesorgt hat aber auch niemand. Ex-Mitglieder des Bundestags bekommen Übergangsgeld, im Grunde ihre alten Diäten – für jedes Jahr im Parlament einen Monat lang. Das ist durchaus nötig, denn ein Bäcker oder Sanitäter hat nicht viel vom Lebenslauf-Eintrag „MdB“. Im Zivilberuf wirft sie die Abwesenheit von vier, acht oder gar zwölf Jahren eher zurück. Andere kassieren bei Bewerbungen auf ganz normale Jobs Absagen, weil sie für überqualifiziert gehalten werden.

Große Parteien haben natürlich Möglichkeiten, ihre Leute unterzubringen, irgendwo in der Tiefe der Organisation, in befreundeten Verbänden oder Stiftungen. Bei kleinen Parteien sind diese Möglichkeiten beschränkt – und bei einer kleinen Partei, die aus dem Bundestag geflogen ist, na ja. „Ein bisschen mehr Beistand durch die FDP“, sagt eine Ex-Abgeordnete, „hätte ich mir schon gewünscht.“ Oder vom Bundestag selbst: „Warum gibt es keine Coachings, die einen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?“

2014 erschien eine Studie, für die 50 Ex-Abgeordnete mehrerer Parteien befragt worden waren: Jeder fünfte gab an, weniger als 30 000 Euro im Jahr zu verdienen. Karrierekiller Bundestag? Klingt trotzdem arg dramatisch.

Das Schöne ist, dass fast alle Ex-Abgeordneten mit großer Ernsthaftigkeit von ihrer Zeit in der Politik sprechen, von dem Privileg und der Verantwortung, Volksvertreter zu sein. 25 der 93 kandidieren in diesem Jahr wieder. Falls die FDP es zurückschafft ins Parlament, wären 20 von ihnen dank guter Listenplätze wohl mit dabei. Das Leben nach dem Bundestag soll für sie nur das Leben vor dem Bundestag sein.

Immer wieder sonntags

Wann für ihn der Tag beginnt, und wann er endet, das weiß Jörg von Polheim gar nicht so genau. Seine erste Schicht in der Backstube fängt jedenfalls um halb zwei in der Früh an. Halb Zwei, das war ungefähr die Zeit, zu der er in Berlin ins Bett gegangen ist. Längeres Aktenstudium am Schreibtisch? Für einen Bäcker kein Problem. Von Montag bis Freitag saß Polheim in seinem Bundestagsbüro, am Samstag fuhr er die 550 Kilometer nach Hause nach Hückeswagen, tief im Bergischen Land, 15 000 Einwohner. Und dort stellte er sich am Sonntag ganz selbstverständlich an den Ofen. Jörg von Polheim sagt: „Wenn man Dinge gerne macht, dann geht das.“

Natürlich tat ihm das Bundestags-Aus seiner FDP bitter weh. Auch das macht er ja gerne: Politik. Zumal er gerade erst im Bundestag angekommen war, nachgerückt im Januar 2012. 29 Jahre Basisarbeit in der FDP, wie oft hatte er Straßenwahlkampf gemacht für andere Kandidaten? Kaum war seine eigene Zeit angebrochen, war sie schon wieder vorbei. Er und seine Kollegen haben nach der Bundestagswahl 2013 viel Spott aushalten müssen, im Internet, von den Medien, selbst von Christdemokraten, die offiziell noch Koalitionspartner waren. Dabei ist es um Existenzfragen gegangen – wenn nicht für die scheidenden Abgeordneten selbst, dann doch für ihre Mitarbeiter.

Von Polheim weiß, dass es andere härter getroffen hat als ihn. Er ist zurück in seiner Backstube, eröffnet vom Ururgroßvater 1839, in seinem alten Job, den er ja nie ganz aufgegeben hatte. Seine Frau steht im Laden an der Theke, er sieht sie jetzt wieder an sieben Tagen in der Woche. Statt an zwei. Was sich nicht geändert hat: Dass die Kunden mit ihm über Politik diskutieren wollen, wenn er ein Päuschen einlegt und sich zu seiner Frau an die Theke stellt. Nah am Wähler? Darf von Polheim für sich reklamieren. Als er noch im Bundestag war, hat er beim Sonntagsverkauf am liebsten über Familienpolitik geredet, das war sein Thema.

Heute geht es eher um das neue Feuerwehrhaus in Hückeswagen. Von Polheim sitzt weiter im Stadtrat; auch viele seiner Ex-Kollegen aus dem Bundestag haben noch ein kommunales Mandat. „Die Ratssitzungen sind so um 17 Uhr, das passt also“, sagt von Polheim. Da habe er locker ausgeschlafen. Wann genau schlafen Sie eigentlich, Herr von Polheim? Zwischen 11 und 14 Uhr, sagt er. Und dann wieder abends von 21.30 Uhr bis ein Uhr. Wobei das nicht immer klappt mit der Bettgehzeit. Neulich sei er von einer Sitzung des Sportvereins, wo er natürlich auch im Vorstand ist, erst gegen 23 Uhr nach Hause gekommen. „Da musste ich dann eben etwas schneller schlafen.“

Familie, Backen, Politik, es sind, heute wie früher, die Themen seines Lebens. Und man übertreibt nicht, wenn man hinzufügt, dass sie ihm schon in die Wiege gelegt wurden. Von Polheim nennt es das Familien-Gen. Der Bäckerei-Gründer, Ururgroßvater Peter, war selbst schon Stadtrat in Hückeswagen. Auch Urgroßvater und Großvater: Bäcker und Stadträte. Der Vater, Bäcker natürlich, war zwar kein Stadtrat, aber immerhin Mitglied in der FDP. Dann kam Jörg.

Nach dem Abitur lernte er beim Vater in der Bäckerei, studierte nebenbei Bautechnik und schloss als Diplom-Ingenieur ab. „Danach musste ich mich entscheiden, was ich im Leben wirklich machen will“, sagt er. Und er entschied sich, das zu machen, was er gerne macht – vier Jahre später war er Bäckermeister. Noch mal zwei Jahre später trat er in die FDP ein. Bei der Bundestagswahl 2009 stand er auf Platz 21 der Landesliste – das reicht normalerweise nicht. Es reichte zunächst auch nicht, trotz des FDP-Rekordergebnisses von 14,6 Prozent. Nur die ersten 20 der Liste durften nach Berlin. Aber dann schieden ein paar Abgeordnete aus – und von Polheim rückte nach.

Heute steht von Polheim wieder auf einer Warteliste: auf der zum nordrhein-westfälischen Landtag. Er ist Nummer vier. Sollte die FDP es in den Bundestag schaffen, würden Christian Lindner und Christoph Rasche aus Düsseldorf nach Berlin ziehen. Fehlten noch zwei. „Ich lasse das in Ruhe auf mich zu kommen“, sagt von Polheim. „Ich hätte da schon Lust drauf, mir macht das ja Spaß.“

Er könnte dann zu Hause wohnen bleiben, Düsseldorf liegt praktisch um die Ecke. Und er hätte die Rückendeckung der Familie. Auch bevor er in den Bundestag gegangen sei, hätten sie alles gemeinsam besprochen. „So etwas gegen die Familie zu entscheiden, das würde ich nie machen“, sagt von Polheim. Er habe immer gesagt, „ich will nach meiner Bundestagszeit noch verheiratet sein. Und das auch mit der gleichen Frau.“ Das hat er schon mal geschafft. Jan Schwenkenbecher

25 der 93 Ex-Abgeordneten treten in diesem Jahr wieder an. 20 wären wohl mit dabei.

Wickeltische fürs WC 

Sie hatte einen festen Vorsatz, den Rückzug aus der Politik. Drei Jahre lang klappte das ganz gut – wohl schon auch, weil ihre Partei sie nicht gerade anflehte um ein Comeback. Miriam Gruß konnte sich ihren beiden Kindern und dem Ehemann widmen, die viel zu oft ohne die Mama hatten auskommen müssen in acht Jahren Bundestag. Aber dann ging unverhofft diese Tür auf – vierzig Autominuten von daheim, in Gundelfingen an der Donau. 7800 Einwohner, hübsche schwäbische Provinz. Ein vakanter Bürgermeister-Sessel, und dazu die Botschaft, dass die Gundelfinger sich jemand von außen wünschen. Gruß trat durch die Tür, mit knapp sechzig Prozent der Stimmen siegte sie in der Stichwahl. Das war im Mai dieses Jahres. „Man muss ein Mal öfter aufstehen als man hinfällt“, sagt sie, und im Hinfallen hat sie Erfahrung.

Erst war sie rasant aufgestiegen: Bundestagsabgeordnete mit 29, Generalsekretärin der Bayern-FDP mit 33, wenig später Vize-Chefin ihrer Fraktion. Für eine gewisse Forschheit wurde sie auch überregional bekannt, als sie 2006 den schwächelnden Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor den Sportausschuss laden wollte. Umso jäher dann ihr Absturz. September 2013, die FDP fliegt aus dem bayerischen Landtag. Für den Wahlkampf verantwortlich: Miriam Gruß. Eine Woche später das Bundestags-Aus, miserabel ihr persönliches Ergebnis in Augsburg: 3,4 Prozent. „Erst die Wahl zur Bürgermeisterin“, sagt Gruß heute, „hat mir über diese Schläge hinweg geholfen“. Zumal die Monate nach dem Ende in Berlin auch sonst ernüchternd gewesen seien: „Ich hatte kein ruhendes Angestelltenverhältnis, in das ich hätte zurückkehren können.“

Sie ist Politologin, sie hatte vor Berlin nur kurz als Beraterin gearbeitet. Und sie wollte jetzt einen Heimat-nahen Job, der Familie wegen. Sie bewarb sich also auch auf einfache Referenten-Positionen bei Verbänden; in den Absagen hieß es stets, dafür sei sie doch überqualifiziert. Bürgermeisterin, das ist ein Glück für sie. Natürlich, auch hier dreht sie nicht mehr das große Rad. Einer ihrer ersten Erfolge in Gundelfingen: Wickeltische für die öffentlichen Toiletten. „Es ist eine andere Art von Politik“, sagt Gruß. „Direkter, konkreter. Vielleicht sogar befriedigender.“ Roman Deininger

Kaum da, schon wieder weg: Diese Abgeordneten waren nur ein bis drei Jahre im Bundestag.

Schall und Rauch

So viel FDP gibt es selbst in der FDP selten. Selfmademan, Cleverle, Schlitzohr. Vom Immobilienverwalter zum Staatssekretär zum Tabaklobbyisten. Jan Mücke zeigt, wie rasant das Leben als Liberaler so sein kann. Für den Dresdner passt das mit dem Tempo sowieso; er liebt es, mit dem Motorrad durch die Gegend zu brausen. Ein Bild von einem Dynamiker und Liberalen – auf den ersten Blick erinnert er an Patrick Döring, den früheren FDP-Generalsekretär, und deshalb könnte man ihn glatt für einen wichtigen Bestandteil der liberalen Zukunft halten.

Das aber wird er fürs erste nicht werden. Denn Mücke ist zwar wie alle anderen ziemlich schnell aus dem Bundestag geflogen – aber er wird nicht versuchen, schnell zurückzukehren. 2014 ist er als Lobbyist der Zigarettenindustrie in die so genannte Wirtschaft gewechselt. Sein Herz mag immer noch für die FDP schlagen; Politiker will er nur noch an der so genannten Basis sein.

Stolz ist er gewesen, als der Wechsel bekannt wurde. So stolz, wie er es auch war, als er 2009 ins größere Büro eines Staatssekretärs im Verkehrsministerium umziehen durfte. Stolz ist bei Mücke überhaupt ein wichtiges Wort. In den Monaten vor der großen FDP-Katastrophe 2013 hat er eine Hochglanzbroschüre herausgebracht, in der er alles präsentierte, wahrlich alles, was er mit und für die FDP in der Regierung gemacht hatte. Mücke beim Einweihen einer Brücke; Mücke bei der Eröffnung einer Ortsumfahrung; Mücke beim Spatenstich für eine Lärmschutzwand. Und natürlich: Mücke mit dem Motorrad und FDP-Freunden auf Urlaubstour. Auffallend dabei: Vieles, ja fast alles davon hat in Sachsen statt gefunden. Was sich heute wie ein Vorgriff auf die neue Aufgabe liest. Lobbyist ist Mücke auch als Politiker gewesen. Für Sachsen eben.

Lobbyismus ist für ihn einfach ein natürlicher Teil des demokratischen Spiels der Kräfte. Deshalb spricht er jetzt viel vom mündigen Verbraucher, der selbst entscheidet, ob er raucht oder nicht. Schamgefühl darf man von Mücke nicht erwarten, da passt der 44-jährige recht gut zum früheren Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel. Der wechselte zu einem Rüstungsunternehmen. Trotzdem hat Mücke etwas, das Niebel kaum mehr haben dürfte: die Option, doch noch zurückzukehren. Stefan Braun

Eine volle Wahlperiode und ein bisschen mehr: Diese Abgeordneten verbrachten vier bis sieben Jahre im Bundestag.

Bei den Soldaten in Mali

Diesen Mann hätte man nicht in der FDP verortet. Nicht in jener jedenfalls, die von den alten Lautschreiern geführt wurde. Wo ein Rainer Brüderle bissig oder ein Guido Westerwelle polemisch wurden, klingt Pascal Kober wie ein sanftmütiger Sozialdemokrat. Was nicht überrascht, der 46-Jährige stammt aus einem Elternhaus, das von der alten SPD geprägt wurde. Seine Ausbildung als Pfarrer dürfte die soziale Ader noch verstärkt haben. „Es mag ein wenig pathetisch klingen, aber es geht mir schon darum, den Armen und Geknechteten zu helfen“, sagt Kober.

Gleichwohl sollte man sich in dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten nicht täuschen. Er ist aus fester Überzeugung Mitglied und Funktionär bei den Freien Demokraten; nach der großen Niederlage 2013 ist er nicht ausgestiegen, sondern im Landesverband Baden-Württemberg zum Parteivize aufgestiegen. Zu resignieren, das erlaubt Kober sich so schnell nicht. Und so möchte er in diesem Herbst ins Parlament zurückkehren, so wie 24 weitere Kollegen aus der FDP-Fraktion von 2013. Der Atmosphäre im Bundestag könnte das gut tun.

Kober wettert nicht gegen andere; er hält weder Grüne noch SPDler noch Christdemokraten für Gegner, gar Feinde. Er ist nicht aus Lust am Streit in die Politik gegangen, sondern aus einer tiefen Überzeugung bei den Liberalen gelandet: der Auffassung, dass es am Ende eben doch am Einzelnen liegt, ob es ihm gut geht, ob er sich aus Krisen herausarbeitet, ob er nach einem Niederschlag wieder aufsteht. Das erinnert ein wenig an die kühlen Thesen früherer Zeiten, in denen der Verweis auf die Eigenverantwortung vor allem dem Zweck diente, die eigene Verantwortung auf andere abzuwälzen. Kober aber meint es in einem anderen Sinne. Er glaubt nicht daran, dass der Staat alle Probleme, gerade für die Schwachen, lösen könnte. „Es gibt nicht für alle Sorgen Antragsformulare; es gibt nicht für alle Krisen eine staatliche Lösung.“

Kober winkt nicht einfach ab. Er plädiert dafür, anders zu denken. Anders mit Menschen zu reden. Gerade den sozial Schwächeren werde dauernd erklärt, was sie alles nicht könnten, nicht dürften, nicht bekommen könnten. Diese Sicht würde er gerne verändern: Über die Fähigkeiten der sozial Schwachen reden, über ihre Talente, ihre Interessen, statt ihnen zu suggerieren, dass der Staat ohnehin alles richten werde. „Das kann er nicht, wird er nie können. Also müssen wir was ändern.“

Etwas ändern musste Kober auch selbst, als es 2013 plötzlich vorbei war. Er hatte schon vor dem Wahltag geahnt, dass es schwer werden würde; er hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte. Aber dass die FDP aus dem Parlament fliegen würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Und stand plötzlich mit leeren Händen da. Oder besser: fast leeren Händen. Anders als manche Kollegen hatte er eine Institution im Rücken: die evangelische Kirche. Klar war, dass diese ihn, den Pfarrer mit dem Parteibuch, mit irgendwas betrauen würde. Unklar war, was das sein könnte. Und weil er von der FDP kam, war es keineswegs einfach, etwas Neues zu finden. Gerade in der Kirche gibt es manchen Rot-Grünen, der die Nase rümpft, wenn einer wie Kober an die Tür klopft.

Dann erfuhr er, dass in der Kaserne der Nachbargemeinde ein Militärpfarrer gesucht werde. Als Abgeordneter hatte er nicht nur den Afghanistan-Einsatz verlängert. Er hatte das Land auch besucht, und dabei dort auch ziemlich viele deutsche Soldaten getroffen. Soldaten, die, wie er es sagt, nachdenklich gewesen seien und ihn neugierig gemacht hätten. Deshalb dauerte es nicht lange, bis er sich entschied: Das will ich. „Glück? Zufall? Ich würde als Pfarrer sagen, es war Fügung.“ Und so wechselte der Pfarrer, der Abgeordneter gewesen war, in die Kaserne.

Der Bruch, den das hätte bedeuten können, ist ausgeblieben. Im Gegenteil, Kober fühlte sich von Anfang an wohl, nicht nur, weil das Tempo nicht mehr so nervös war wie in Berlin. Wohl fühlte er sich, weil er Gutes tun konnte, was ein bisschen pathetisch klingt, aber für ihn zutrifft. Früher als sonst üblich kam für ihn der erste Auslandseinsatz. Weil er französisch spricht, wurde es Mali. Erst der Süden, dann der Norden.

So fand Kober sich in einer Welt wieder, die ihm bisher fremd gewesen war. Er erlebte, wie es ist, als Soldat im Ausland festzuhängen, während zuhause alles mögliche passieren kann, glückliches wie Geburten, trauriges wie Todesfälle oder schwere Konflikte. Er erlebte, wie Soldaten tausend Fragen nach dem Sinn stellten. Er musste lernen, dass mancher in Mali sitzt, aber von den Schrecken in Afghanistan nicht los kommt. Wie viele dieser Soldaten mit ihm abends in der Wüste saßen und das Erzählen anfingen. Wird er das nicht vermissen? „Doch!“, ruft er, um hinzuzufügen: „Ich will in den Bundestag, alles andere wäre geheuchelt. Aber bei den Soldaten – das ist ein sinnvolles Leben gewesen.“ Stefan Braun

Zwei volle Wahlperioden: Diese ehemaligen Abgeordneten saßen acht bis neun Jahre im Bundestag.

Der lange Weg zurück

Jeden Morgen verlässt sie Hamburg. Sie pendelt raus aus der Stadt, aufs Land, hin zu ihrer Grundschule, zu ihrer zweiten Klasse. Unterrichtet dort Deutsch, Mathe und Sachkunde, und abends fährt sie wieder zurück. Die anderen Pendler, die große Masse, kommt ihr dann immer entgegen: Sylvia Canel ist, man kann das schon so sagen, gern gegen den Strom unterwegs.

Sie war das schon während ihrer Zeit im Bundestag. Zum Beispiel, als sie im Februar 2012 als eine von vier FDP-Abgeordneten gegen das zweite Griechenland-Hilfspaket stimmte – und damit die Kanzlermehrheit verhinderte. Das ging so weiter. Im Herbst 2014, ein Jahr nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag, trat sie als Hamburger FDP-Landesvorsitzende zurück, verließ die FDP gleich ganz und gründete eine neue Partei mit: die Neue Liberale. Der grobe Plan war, die Neue Liberale zu einer FDP mit Herz zu machen, zu einer Hüterin des linksliberalen Erbes.

Wirklich funktioniert hat das nicht. Die Gründungsvorsitzende Canel hat sich mittlerweile zurückgezogen. Politisch aktiv ist sie nur noch in der Wandbeker Bezirksversammlung. Sie fühlt sich mit dem Lehrerjob ohnehin ausgelastet – und ist froh, dass sie das von sich sagen kann. Früher, vor den Bundestags-Jahren, hatte sie an Gymnasien unterrichtet. An eine Grundschule geriet sie eher zufällig. Nach einem dreiviertel Jahr Pause „habe ich geschaut, was in der Nähe liegt und was gut zu erreichen ist.“

Sie fand die Grundschule vor den Toren von Hamburg, mittelgroß, etwa 220 Kinder. Canel sagte dem Schulleiter, dass sie gerade einen Job suche; der Schulleiter sagte, das passe, er suche eine Lehrerin. Das Prestige ihres vorherigen Arbeitgebers, sagt Canel, habe kaum geholfen: „Die Zeit im Bundestag ist als Lehrer eine verlorene Zeit.“ Wieder ins Unterrichten rein zu kommen, sei schwierig; ständig merke man, dass einem in all den Jahren diese und jene Fortbildung entgangen sei. Und man kriege das auch zu hören von den Kollegen.

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete arbeitete also im Grunde auf Probe: Zeitvertrag reihte sich an Zeitvertrag. Nach und nach jedoch konnte sie ihre Stundenzahl steigern. Heute, sagt sie nicht ohne Stolz, habe sie eine volle Stelle. Jan Schwenkenbecher

Ein ganzes Jahrzehnt im Bundestag: Diese Parlamentarier waren zehn bis dreizehn Jahre in Berlin

Erst mal Fortbildung

Eines ist wie früher: Jens Ackermann ist ziemlich viel in seinem ehemaligen Wahlkreis an der Magdeburger Börde unterwegs – jetzt halt mit Blaulicht und Martinshorn. Er fährt Kranken- und Rettungswagen, er sagt: „Einmal Rettungsdienst, immer Rettungsdienst.“

Ackermann ist keiner der Ex-Abgeordneten, denen irgendwer unterstellen würde, sie hätten die Lebenslauf-Station Bundestag als Karriere-Beschleuniger genutzt. „Ich habe als Volksvertreter versucht, den Leuten zu helfen“, sagt er, und das klingt schon deshalb recht glaubwürdig, weil er heute selbst zu den Leuten gehört, denen er geholfen hat. Vor der Zeit im Bundestag hatte er Krankenpfleger gelernt und Medizinpädagogik studiert, den Eltern gehört ein Krankentransport-Betrieb.

Der Bundestag war weder Lebenstraum noch Plan. Kaum der FDP beigetreten, fand er sich auf der Landesliste für die Wahl 2005 wieder, in Sachsen-Anhalt ging so was damals. Im Wahlkampf musste er erst mal nachschauen, wofür seine Partei im Detail so stand. Als er dann in Berlin ankam, war er natürlich auch noch kein Politik-Profi. Also verließ er sich auf das, was er hatte: „Fachwissen und Berufserfahrung.“ Genau davon, sagt er heute, „lebt doch das Parlament“. Er ging in den Gesundheitsausschuss und brachte ein Gesetz mit auf den Weg, das die Ausbildung im Rettungsdienst aufwertete: Sie dauert jetzt drei Jahre statt zwei, und die Azubis müssen nicht mehr bezahlen – sondern werden bezahlt. Die Fortbildung zum Notfallsanitäter, die Ackermann nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag absolvierte: eingeführt durch sein eigenes Gesetz.

Er hatte die Auffrischung nötig: „Die Medizin macht Fortschritte in acht Jahren, neue Beatmungsgeräte, neue EKG-Geräte. Die muss man erst mal bedienen lernen.“ Heute sitzt er nicht nur am Steuer von Krankenwagen, sondern auch viel vor dem PC im Büro. Bald soll er den Familienbetrieb übernehmen. Deshalb, sagt Ackermann, habe er auch den Gedanken, 2017 wiederanzutreten, rasch verworfen: „Ich konzentriere mich ganz auf den Betrieb.“ Er ist ja eh noch Kreisrat im Kreis Börde und Beisitzer im FDP-Landesvorstand. Einmal Politik, immer Politik? Ackermann sagt: „Es gehört zur Demokratie, dass das nicht planbar ist.“ Roman Deininger

Echte Veteranen: Mehr als 14 Jahre saßen diese Abgeordneten in Berlin.

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