Buch Zwei

Schönheit des Scheiterns

Seit genau fünf Jahren wartet Deutschland auf die Eröffnung des neuen Berliner Flughafens. Eine Chaos-Bilanz.

Von Martin Wittmann (Text), Lisa Bucher (Illustrationen), Hiepler und Brunier (Fotos und Videos)

Die Rolltreppe läuft, damit sie nicht steht. Der Flughafen bewegt keine Passagiere, sondern nur sich selbst, die Baustelle kämpft damit, sich zu erhalten. Wann geht der Betrieb los? Manche denken, das wird nie passieren. Eine finale Zwischenbilanz.

Luftnummer

Wie der BER zu einer populäre Ikone des Versagens wurde - und wie wir von diesem Bau-Debakel profitieren

Es gibt Grund zu feiern! Der Flughafen hat dieser Tage zum Jubiläum geladen, ein Staatsempfang mit mehr als 300 Gästen, die Economy Class wird mit Bierzelt und Musik versorgt. Nebenbei werden Rekorde präsentiert, so viele Passagiere wie noch nie, der Gewinn höher denn je.

Wer hätte das gedacht, nach all der Kritik im Vorfeld. Die Grenzen der Belastbarkeit für die Stadt seien erreicht, „ich meine, überschritten“, sagte der Oberbürgermeister vor der Eröffnung. Die Grünen sagten, der „Schmiergeldflughafen“ werde für die Regierenden zur „größten Pleite in der Geschichte“. Aus der Süddeutschen Zeitung: „Gesamtkosten werden auf 8,5 Milliarden Mark beziffert“. Ja, genau, D-Mark.

Im Münchner Airport Franz Josef Strauß haben sie sich gerade zum 25-Jährigen auf die Schultern geklopft. Er ist eines der beiden großen deutschen Drehkreuze, das andere steht in Frankfurt und feierte 2016 großen Geburtstag, den 80. Der Willy-Brandt-Flughafen in Berlin (BER) hätte beide übertrumpfen sollen. Moderner, besser, innovativer. An diesem Samstag hätte er sein Fünfjähriges feiern können. Hätte, hätte, Fehlerkette.

„Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen“, wird getwittert

Die Eröffnung am 3. Juni 2012 wurde abgesagt. Es war nicht die erste Verschiebung des Termins, aber es war die spektakulärste, weil kurzfristigste. Die Menüs waren schon ausgewählt, die Einladungen verschickt worden. Alles umsonst. Seither ist der BER eine Pop-Ikone des Versagens. Die Häme über Berlin.

Es ist nun ein Leichtes, auf diese fünf Jahre zu blicken und sich aufzuregen oder zu spotten. Zu viel Steuergeld hat die Bauherrin – die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) – im Süden der Stadt verbraten, zu viele Chefs wurden verschlissen, zu viel an Glaubwürdigkeit haben Klaus Wowereit, Hartmut Mehdorn und Co. verspielt, zu viele Fehler wurden gemacht und dann noch mal. Es ist verlockend, sich lustig zu machen über die kurzzeitig angedachte „Mensch-Maschine-Lösung“ für ein Problem mit dem Brandschutz: 300 Helfer sollten im Notfall die streikenden Türen öffnen und schließen. Oder Sympathie zu haben mit der seltenen Zwerggans, die am Rangsdorfer See lebt. Der darf trotz aller Widerstände nun doch überflogen werden, oder besser gesagt: dürfte. Es fliegt ja nix. Außer der Gans. Die hat weiter ihre Ruhe.

Schwerer ist es, die Perspektive zu wechseln und den Glanz dieses Scheiterns zu erkennen; die sozio-kulturellen Kollateralschäden des Flops zu würdigen. Was also bleibt abseits des Offensichtlichen, das vollständig zu klären ohnehin unmöglich ist; nicht einmal der Hunderte Seiten dicke Untersuchungsbericht kann sämtliche Frage nach dem Warum beantworten. Selbst das Wann ist ja wieder mal unsicher.

Es bleibt, wenn man nur will, sehr viel. Im Ingenieurparadies Deutschland inspiriert ein nie angelaufener Betrieb viel stärker als ein laufender. Dem Desaster darf dabei offen begegnet werden, weil es relativ harmlos ist. Niemand ist umgekommen, abgesehen von dem IS-Schläfer, der einen Anschlag auf den BER verüben sollte, aber an Altersschwäche gestorben ist. So titelte die Satire-Website „Der Postillon“.

„Witze“ ist dann auch einer jener Begriffe, die Google als Komplementärbegriff zum Berliner Flughafen anbietet. Ein neues Genre. Das fängt beim „Problem-BER“ an und hört bei Twitter nicht auf, wo einer schreibt: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu bauen.“ Für die deutsche Humorlandschaft ist die Posse in Schönefeld eine Vorlage wie der Präsident Trump für die amerikanische. Allerdings testet die Langlebigkeit der Krisen hier wie dort die kreative Kondition. Schön langsam gehen die albernen Wortwitze (kurz: Wowis) aus.

Karriere hat der BER auch als neue Vergleichsgröße gemacht. Da antwortet zum Beispiel ein Fachfremder und noch dazu Österreicher, Sänger Andreas Gabalier, auf die Frage nach der Familienplanung: Das brauche Zeit, „das ist bei mir wie mit dem Berliner Flughafen, der wird auch nie fertig.“ Überhaupt hat sich der Airport als Small-Talk-Thema bewährt, das viele Anekdoten aufbietet und keinen Widerspruch provoziert – die Lächerlichkeit des Chaos verbindet, auf sie können sich alle einigen. Das ist eine gute Nachricht für die Bahn: Sie wurde damit als Ventil der frustrierten Reisenden abgelöst (die schlechte ist: Der Geisterbahnhof unter dem Bau kostet sie jeden Monat etwa zwei Millionen Euro).

 Warum hat hier noch niemand einen Film gedreht?   

Nicht zuletzt steckt im BER das große Thema der Vergänglichkeit. Man denke nur an all die Institutionen, die auch zur nächsten Eröffnung wieder eingeladen werden und dorthin dieselben Positionen wie 2012 hinzuschicken gedenken; diese Positionen werden dann aber andere Menschen innehaben. Die Kanzlerin immerhin wird wohl noch dieselbe sein. Noch vor dem Spatenstich ins Amt gewählt, könnte sie ihre letzten Dienstreisen vom BER aus starten – augenscheinlicher könnte man die Zeitspanne ihrer Kanzlerschaft nicht dokumentieren.

Macht ein Baum beim Fallen ein Geräusch, auch wenn ihm keiner zuhört? Die Rolltreppen und Aufzüge im BER fahren jedenfalls, obwohl niemand da ist, der mitfährt. Die Fotos vom Flughafen – leere Versprechen der Architektur, museale Schätze fast. Warum hat hier noch niemand einen Film gedreht? „Scheitern als Chance“, hieß es bei Regisseur Christoph Schlingensief, ihn hätte diese Bühne beeindruckt.

Irgendwann droht diese spannende Übergangszeit zu enden. Viele Mängel sind beseitigt. Der Terminal, was Planung und Bau betrifft, war im April zu 89 Prozent fertig. Das reicht nicht für den Betrieb. Aber es reicht, die Zwischenbilanz mit einer Spur Hoffnung zu ziehen; das Desaster in seiner absurden Schönheit zu zeigen. Zumal an anderen Flughäfen zu sehen ist, wie schnell die Probleme vergessen sind, wenn es mal läuft. Falls es mal läuft.

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