Wie er sich anfühlt – wieso wir ihn brauchen – wie er wirkt – wie er sich verändert
Es ist Freitagabend. Die Arbeit ist erledigt, die Nacht bricht an. Wir gehen in die Kneipe, trinken ein paar Bier, tanzen im Club die Nacht durch. Wir wollen raus aus dem Alltag, Spaß haben und die Welt neu erfahren. Ob im Vollsuff, beim wilden Sex oder mit 200 Km/h auf der Autobahn – jeder entgrenzt sich. Der Rausch gehört zum Menschsein wie das Lieben und Träumen. In Ekstase erleben wir die Welt intensiver, im Guten wie im Schlechten. Rausch ist geil und gefährlich.
Was er in uns bewirkt, hängt nicht nur von der Substanz, sondern auch von unserer Stimmung ab. Kiffen macht high oder paranoid, Alkohol locker oder aggressiv. Auf LSD rückt die Decke schon mal bedrohlich nah, die eigene Hand verschwindet. Panik! Oder man glaubt plötzlich, alles zu verstehen – und Alltägliches sieht intensiver, bunter, schöner aus. Da kann es schon mal vorkommen, dass man eine halbe Stunde lang da sitzt und ein Blatt oder einen Regenwurm anstarrt. So wie Werner Pieper, Autor und Ex-Dealer. Er weiß, wie sich Rausch anfühlt.
Klicken Sie nach einem kurzen Intro die Frage an, die Werner Pieper Ihnen beantworten soll.
Werner Pieper,
67 Jahre alt,
veröffentlicht als Autor und Verleger Bücher über Drogen, Trance und Naturkost. Er dealte in den Siebzigerjahren in Heidelberg und nahm selbst LSD und Ecstasy, um als Psychonaut sein Seelenleben zu erfahren. Heute lebt er im hessischen Löhrbach und gönnt sich nur noch ab und zu ein „Marihuana-Räuschchen“.
Es waren die Siebziger und Werner Pieper fühlte sich ganz leicht und schwerelos. Hinter dieser Bewusstseinsveränderung steckt ein einfacher biochemischer Vorgang: Im Zwischenhirn, wo die Sinneseindrücke verarbeitet werden, dockt das LSD-Molekül an und löst im besten Fall starke Glücksgefühle aus. Genau das ist der Grund, warum Menschen Drogen nehmen. Halluzinogene, Opiate, Alkohol und Cannabis: All diese Substanzen sollen bewirken, dass wir uns besser fühlen. Mit Sport und Sex ist es nicht anders. Auch da suchen wir den Rausch: die körpereigenen Endorphine.
Was wären Vernunft und
Nüchternheit ohne das
Wissen vom Rausch?
Drogen können zwar ähnliche Gefühle auslösen, wirken im Körper aber oft ganz unterschiedlich. Die Folgen reichen von psychischer Abhängigkeit, über Horrortrips bis hin zu Psychosen.
Schauen Sie selbst, wie Drogen uns verändern. Texte: Robert Gast
Alkohol
Sie wollen entspannen, vergessen oder selbstbewusster werden: Mehr als 80 Prozent der Erwachsenen in Deutschland trinken regelmäßig. Im Durchschnitt nimmt ein Mensch 9,5 Liter reinen Alkohol pro Jahr zu sich. Etwas weniger als noch in den Neunzigerjahren. Bei geringen Dosen enthemmt Alkohol, bei größeren Mengen dämpft er die Wahrnehmung. Wer etwa 40 Gramm Alkohol aufnimmt, ist berauscht. Aber schon 200 Gramm können tödlich sein, wenn man die Dosis nicht gewöhnt ist. Jährlich sterben 74 000 Menschen an den Folgen des Alkohols.
Haschisch und Marihuana
Die Substanz hebt die Laune und entspannt. Sowohl das Harz der Cannabis-Pflanze (Haschisch) als auch ihre Blüten (Marihuana) enthalten THC. Wer sich voll zudröhnt, hat mitunter auch Halluzinationen. Bekifft ist man einfühlsamer und nimmt mehr Details wahr. Vergiften kann man sich beim Kiffen praktisch nicht: Die tödliche Dosis liegt bei mehr als 100 Gramm Cannabis, schätzen Experten – in einem Joint sind allenfalls einige Hundert Milligramm THC. Dennoch ist Cannabis umstritten. Unter anderem, weil es bei Teenagern die psychische Entwicklung stören kann.
Ecstasy, Speed, Crystal,
Kokain
Oh, ist schon Montag? Wer lange tanzen will, nimmt Amphetamine wie MDMA (oft in Ecstasy), Speed oder Crystal Meth. Kein Amphetamin, aber trotzdem aufputschend: Kokain, das durch Aufkochen zu Crack wird. Die Stoffe enthemmen, machen selbstbewusst, kontaktfreudig – und für eine Weile glücklich. Bei MDMA wird der Körper mit Serotonin geflutet, einem Botenstoff, der die Signale im Nervensystem übermittelt. Bei Kokain und Amphetaminen schüttet der Körper Adrenalin und Dopamin aus. Alle Stoffe können psychisch abhängig machen, Crystal Meth auch körperlich.
LSD, Psilocybin, Meskalin
Das Licht tanzt in Regenbogenfarben. Wer Halluzinogene wie LSD, Psilocybin (aus bestimmten Pilzen) oder Meskalin (aus dem Peyote–Kaktus) nimmt, kann sich euphorisch fühlen und halluzinieren. Als potenteste synthetische Substanz kennt man LSD: Schon 30 Mikrogramm können berauschen. Das LSD-Molekül greift im Gehirn an, dort wo die Sinneseindrücke verarbeitet werden. Halluzinogene Substanzen machen körperlich zwar nicht abhängig, sie können aber einen Horrortrip auslösen – und bei entsprechender Veranlagung sogar eine Psychose.
Opioide und Opium
Sie lindern Schmerzen und beruhigen: Opioide wie Heroin und Morphin drosseln Stoffwechsel, Atmung und Libido. Sie sind chemisch verwandt mit Opium, das bei geringen Dosen ähnlich wirkt, bei hohen Dosen aber extrem euphorisieren kann. Der Körper schüttet als Reaktion auf die Droge das Hormon Dopamin in gewaltigen Mengen aus. Wegen seiner starken Rauschwirkung macht Heroin hochgradig psychisch und physisch süchtig. Der Stoff schädigt zwar nicht direkt den Körper, aber oft infizieren sich Abhängige an schmutzigen Nadeln, sodass die Lebenserwartung sinkt.
Dopamin und Serotonin
Je nachdem, ob man verliebt ist, Sex hat oder exzessiv Sport treibt, wirkt im Körper ein anderer Cocktail aus Glückshormonen. Endorphine dämpfen den Schmerz, Serotonin hebt die Laune, Adrenalin macht wach und leistungsfähig. Und manchmal ist der Rausch eine Art Energiesparmodus. Die Durchblutung kann bis zu 30 Prozent sinken. Und wenn etwas gut war, schüttet der Körper Dopamin aus. Das soll wohl bewirken, dass wir Dinge, die uns gut tun, wiederholen. Und es zeigt dem Körper seine Grenzen: Wenn wir satt und befriedigt sind, gibt es kein Dopamin mehr.
Drogen können dem Menschen sehr gefährlich werden. Warum berauschen wir uns trotzdem? Weil Rausch ein wunderbarer Widerspruch ist, weil der Mensch nicht immer nur vernünftig handeln will. „Eine Kultur kann ohne Rausch nicht existieren“, sagt Jürgen vom Scheidt. Er studierte Psychologie, behandelte in den Siebzigerjahren Drogenkranke und schrieb zusammen mit Wolfgang Schmidbauer das Handbuch der Rauschdrogen.
Fragen Sie ihn nach einem kurzen Intro selbst, welche Funktion der Rausch haben kann.
Jürgen vom Scheidt,
74 Jahre alt,
promovierte mit Studien über Drogenkarrieren an der Universität München. Ein Jahr lang arbeitete er in einer Drogenberatungsstelle, danach eröffnete er eine Privatpraxis. Heute lebt er in München und gibt Kurse zum Kreativen Schreiben. Vom Scheidt reklamiert für sich, den Begriff Entschleunigung erfunden zu haben.
Rausch verbindet Menschen. Manchmal auch im Glauben. Derwische tanzen sich mit wirbelnden Drehbewegungen stundenlang in Trance. Indianer aus den Anden-Regionen kauen seit Jahrhunderten Coca-Blätter, um ihre körperliche und geistige Leistung zu steigern – und mit ihren Göttern in Verbindung zu treten. Hierzulande nutzen Katholiken Weihrauch, um die meditative Wirkung des Gottesdiensts zu vertiefen.
Schauen Sie selbst, wie verschiedene Religionen Rausch zelebrieren.
Derwische tanzen
Derwische sind Anhänger des Sufismus, der islamischen Mystik. Seit dem 13. Jahrhundert sind die Wirbeltänze ihr getanztes Gebet, ihr Weg zur Einheit mit Gott. Monotone, einfache und über längere Zeit wiederholte Drehbewegungen des ganzen Körpers führen in eine Form von Bewegungstrance, eine Art klaren Rausch. Wirbeltänzer beschreiben ihn als glückselige Ich-Auflösung, als befinde man sich im stillen Auge eines Wirbelsturms. Im Rausch der Derwische treten Wachheit und tiefe Entspannung gleichzeitig auf. Wissenschaftler vermuten, dass in diesem Zustand im Gehirn Betawellen auftreten – die Hirnwellen des normalen Wachbewusstseins – und zugleich langsame Thetawellen, die mit Kreativität und meditativer Entspannung verbunden sind und normalerweise unbewusst bleiben. Die Wirbeltänze werden traditionell von Musik begleitet und können Stunden, im religiösen Ritual sogar viele Tage dauern. Los geht es aber ganz rasch: Wenn der erste Schwindel überwunden ist, genügen wenige Minuten und der Rausch ist da. Text: Kathleen Hildebrand, Foto: Gurcan Özturk (AFP)
Juden schockeln
Wenn sie beten, bewegen sich manche Juden schaukelnd vor und zurück. Das jiddische Wort dafür ist „schockeln“. Laut alter jüdischer Schriften hat das Schockeln ganz pragmatische Gründe: Weil es nur wenige Bücher oder Handschriften gab, beugte sich ein Betender kurz darüber, während der andere nach hinten auswich. Die monotonen, rhythmischen Schaukelbewegungen führen in eine konzentrierte, leichte Trance. Außerdem helfen sie, beim Gebet Eindrücke aus der Umgebung und störende Gedanken auszublenden. Wenn gemeinsam geschockelt wird, kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Synchronisierung der Bewegungen und Atemrhythmen verstärkt das Gemeinschaftsgefühl. Im 19. Jahrhundert galt das Schockeln zunehmend als unfein und archaisch, weil die europäischen Juden sich an die reduzierten Gebetsformen des Protestantismus anpassen wollten. Die Rabbiner warnten die Gläubigen davor, nur deshalb besonders exzentrische Bewegungen zu machen, um die Aufmerksamkeit der anderen Beter auf sich zu lenken. Text: Kathleen Hildebrand, Foto: Jack Guez (AFP)
Katholiken wedeln Weihrauch
Weihrauchschwaden entsteigen nicht nur den Fässchen katholischer Messdiener. Schon Ägypter, Griechen und Römer sandten mit dem Rauch ihre Bitten zu den Göttern: „per fumum“, durch den Rauch. Das Wort „Parfüm“ leitet sich von diesem Ausdruck ab. Das Harz des strauchartigen Boswelliabaums galt lange Zeit als so wertvoll, dass es mit Gold aufgewogen wurde. Weihrauch hat Inhaltsstoffe mit entspannender Wirkung. Neuere Tierversuche deuten darauf hin, dass der Inhaltsstoff Incensol Angst und Depressionen lindert. Mäuse, die Weihrauchschwaden ausgesetzt waren, reagierten in Versuchen deutlich furchtloser als nüchterne Tiere. Gut eingenebelt kann sich durch ihn ein geringfügiger Rausch einstellen, der die meditative Wirkung des Gottesdienstes verstärkt. Außerdem hat er entzündungshemmende Wirkung und wird als mögliches Krebsmedikament erforscht. Das Gerücht, Weihrauch enthalte THC, den Wirkstoff von Cannabis, haben Forscher allerdings widerlegt. Text: Kathleen Hildebrand, Foto: Oliver Berg (dpa)
Schamanen trinken Fliegenpilzextrakt
Hübsch stehen sie im Wald mit roten Hüten und weißen Punkten. Doch schon Kindern wird eingeschärft, dass der Fliegenpilz giftig ist. Er wächst vor allem unter Birken und Fichten. Während Pilzsammler das Gewächs meiden, suchen sibirische Schamanen seit Generationen danach – denn die Gifte versetzen sie in einen ekstatischen Trancezustand. Der Fliegenpilz symbolisiert das Fleisch der Götter, das Zutritt zur spirituellen Welt verschafft. Auch Germanen, Maya-Priester und die alten Inder sollen sich bei kultischen Handlungen mit dem Pilz berauscht haben. Der Fliegenpilz enthält mehrere Gifte, unter anderem Iboten-Säure, Muscarin und Muscimol. Die Trancezustände werden vor allem von dem Muscimol hervorgerufen, es löst Halluzinationen aus. Die Konzentration schwankt stark von Pilz zu Pilz. Um in Trance zu kommen, trinken manche Völker sogar den Urin der Schamanen. Klingt eklig, ist aber praktisch: Denn das giftigere Muscarin wird im Körper des Schamanen abgebaut und der Urin enthält nur noch das berauschende Muscimol. Text: Anna Günther, Foto: Johannes Simon
Bolivianer kauen Coca-Blätter
Für Boliviens Präsident Evo Morales gehören Coca-Blätter zur Kultur, er kaut sie selber und forderte ihre Legalisierung 2012 vor den Vereinten Nationen: Die Ausfuhr der Samen ist verboten, der Anbau ist in geringen Mengen erlaubt. Die Indianerstämme der Anden-Regionen kauen die Blätter seit Jahrhunderten, um ihre körperlichen und geistigen Leistungen zu steigern. Der Coca-Strauch gilt als Arznei gegen Schmerzen, Verdauungsstörungen, Schwächezustände oder Rheuma. Bis heute wird Coca den Göttern geopfert. Im Rausch tritt der Schamane mit ihnen in Verbindung. Die Blätter waren fester Bestandteil in den kultischen Riten der Inka. Außerhalb der Anden wurde Coca erst mit der Isolierung des Alkaloids Kokain im 19. Jahrhundert bekannt. Die Blätter werden getrocknet, geröstet, als Tee gekocht oder geraucht. Erst wenn sie mit Pflanzenasche oder Natriumcarbonat gekaut werden, löst sich das Kokain aus den Blättern. Diese sollen bis zu zwei Prozent Kokain enthalten. Text: Anna Günther, Foto: Jeffrey L. Rotman (Getty)
Indianer essen den Peyote-Kaktus
Ursprünglich wuchs er in den Wüstengebieten zwischen Texas und Mexiko. Schon die Azteken nutzten ihn, um sich zu berauschen. Und sogar Grabfiguren aus der Zeit um 200 vor Christus zeugen von der Verwendung der Substanz. Heute steht der Peyote-Kaktus auf der Roten Liste der Arten. Die Pflanze kann antibiotisch wirken und enthält mehr als fünfzig Alkaloide. Die psychoaktive, berauschende Wirkung entsteht durch den Stoff Meskalin: In einem Gramm des getrockneten Peyote-Kaktus sollen bis zu zehn Milligramm stecken. Lange Zeit galt der Kaktus als göttlich, weil er Medizinmänner in einen halluzinogenen Rausch versetzte. Die Botschaften der Berauschten wurden als Weisungen der Götter interpretiert. Nach der Entdeckung Amerikas durch die Spanier wurde der Konsum verboten, mit der Zerstörung der aztekischen Kultur verschwand er beinahe. Die Indianerstämme Nordamerikas übernahmen Peyote Ende des 19. Jahrhunderts in ihre Kultur. Einige Stämme nutzen den Kaktus auch heute noch als Rausch- und Heilmittel. Text: Anna Günther, Foto: Alfredo Estrella (AFP)
Jede Kultur hat ihren Rausch, jede Zeit ihre Droge. Das zeigt ein Blick ins vergangene Jahrhundert: Als die US-Regierung in den Zwanzigerjahren Alkohol verbietet, wird er erst recht beliebt: Die Amerikaner trinken einfach heimlich, in gut versteckten Bars, den sogenannten Speakeasys, Flüsterkneipen. Erst dreizehn Jahre später dürfen sie wieder legal Alkohol kaufen.
Was sonst noch passiert ist?
Ohne den Rausch gäbe es vielleicht weniger Konflikte auf der Welt, aber vielleicht auch weniger Denker, die Regeln brechen und Neues schaffen. Jeder Rausch ist eine Reise, die immer dem gleichen Prinzip folgt: Erst Glück, dann Kater. Mal lohnt sie sich, mal endet sie in einer Tragödie. Immer aber verändert uns der Rausch.
An einem Rausch ist das
Schönste der Augenblick,
an dem er anfängt und
die Erinnerung an ihn.
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Ein Projekt von
Friederike Zoe Grasshoff, Katrin Langhans, Maximilian Salcher, Steffen Kühne
Titelbild und Bildredaktion
Veronica Laber