Mehr als 700.000 Menschen sterben pro Jahr durch Mückenstiche, weil die Insekten tödliche Krankheiten übertragen. Das war schon immer so, aber jetzt ist die Welt an einem kritischen Punkt angekommen. Durch die Globalisierung steigt das Risiko weltweiter Epidemien. Mit dem Klimawandel dehnen Arten, die Malaria und Dengue übertragen, ihren Lebensraum immer weiter aus - bis nach Deutschland. Es herrscht Krieg zwischen Mücken und Menschen. Um ihn zu gewinnen, arbeiten Wissenschaftler auf der ganzen Welt an neuen Strategien.
1. Wettlauf gegen den Tod
Kochen, essen, Wasser holen, waschen, plaudern - in Ifakara sind die Hütten zu klein für so viel Leben. Die Menschen sind arm in der Stadt im Landesinneren von Tansania, in die meisten Häuser passen höchstens ein, zwei Betten. Alles außer Schlafen findet draußen statt. Und draußen, da sind die Mücken: eine tödliche Gefahr. Eine Bedeutung des Wortes Ifakara ist „Der Platz, wo ich sterbe“.
In Afrika stirbt alle zwei Minuten ein Kind an Malaria. Fieberschübe, Bewusstseinsstörungen, Organversagen sind typische Symptome. Die Erreger können sich in etwa 30 verschiedenen Anopheles-Mücken vermehren und durch einen Stich ins Blut gelangen.
Das Kilombero-Tal rund um Ifakara zählte zu den am schlimmsten von Malaria betroffenen Regionen Afrikas. „Am Anfang meiner Zeit hier konnten wir die Mücken, die wir für unsere Stichproben in einfachen Lichtfallen fingen, nie zählen, sondern nur wiegen“, sagt Gerry Killeen. Der Ire forscht seit 15 Jahren am Ifakara Health Institute (IHI), einem international anerkannten Zentrum der Malariaforschung. „Manchmal war der Auffangbeutel der Fallen nach einer einzigen Nacht bis zum Rand mit Mücken gefüllt“, sagt Killeen.
Heute ist das anders. In Ifakara schläft heute fast jeder unter einem Moskitonetz. Weil Anopheles-Mücken am liebsten nachts stechen, wird ihnen damit die Lebensgrundlage entzogen. Mit Insektiziden behandelte Moskitonetze haben am meisten dazu beigetragen, dass die Todesrate seit 2000 um 60 Prozent gefallen ist und es ein Drittel weniger Ansteckungen gibt. In den 80er Jahren bekam ein Mensch in Ifakara im Durchschnitt 2000 infektiöse Mückenstiche pro Jahr. Heute sind es 18. Auch weltweit geben die Zahlen Anlass zur Hoffnung, auch wenn es erst einmal nicht so klingt: Der WHO zufolge leben 3,2 Milliarden Menschen in Risikogebieten, 212 Millionen Menschen erkrankten vergangenes Jahr neu an Malaria. Das ist ein Rückgang der Fallzahlen von 18 Prozent seit 2000. Es sah so aus, als könnte die Menschheit Malaria besiegen.
Aber die Mücken spielen nicht mit. Allen Anstrengungen zum Trotz fliegen sie weiter, stechen weiter, töten weiter. Die Krankheitsfälle stagnieren auf dem erreichten Niveau. Als würde man gegen eine Wand laufen. Als würde sich der geschlagen geglaubte Gegner wieder erholen. In Ifakara sind die Forscher dem Geheimnis auf der Spur: Noch immer haben mehr als zehn Prozent der Einwohner des Kilombero-Tals Erreger im Blut - obwohl sie unter Netzen schlafen. „Wenn man davon ausgeht, dass Anopheles-Mücken nur nachts stechen, ist es überraschend, dass wir hier trotzdem noch so viel Malaria haben“, sagt Fredros Okumu, wissenschaftlicher Direktor des IHI.
Okumu geht diesem Widerspruch auf den Grund, die Einwohner des Kilombero-Tals machen mit. Gegen eine kleine Entlohnung suchen sie Stellen mit besonders vielen Insekten oder setzen sich als menschlicher Köder stundenlang unter ein Moskitonetz mit angeschlossener Falle. Sie sammeln Daten, führen Buch darüber, was genau ihre Familie zwischen sechs Uhr abends und morgens tut.
Zusätzlich untersuchen die Wissenschaftler des IHI im Labor, wie viele Mücken den Erreger in sich tragen, ob die Weibchen bereits gestochen haben und welcher Art die Insekten überhaupt angehören.
Diese Puzzlesteine setzen sich langsam zu einem Bild zusammen: Es erklärt, wie die verbliebenen Malariafälle zustandekommen. Noch vor einigen Jahren waren neun von zehn Mücken von der Art gambiae sensu strictu. “Effiziente Malaria-Überträger, die nur nachts stechen, innerhalb der Häuser”, sagt Okumu. “Diese Art ist heute so gut wie verschwunden, weil sie aufgrund der Moskitonetze nicht mehr an die Menschen herankommt.” Stattdessen haben sich andere Anopheles-Subspezies ausgebreitet, vor allem Arabiensis und Funestus. Die IHI-Forscher nennen sie „Bruce Willis unter den Anopheles-Mücken“, weil sie so flexibel, vielseitig und vor allem: nicht totzukriegen sind. Anopheles arabiensis sticht auch Hühner oder Kühe, wenn sie keinen Menschen erwischt. Anopheles funestus ist zwar seltener, trägt dafür aber häufiger den Malaria-Erreger in sich. Beide Arten sind bereits in der Dämmerung aktiv und bleiben es, bis die Sonne aufgeht.
Die gesammelten Daten zeigen, wie geschickt sich die Insekten an die Menschen angepasst haben: Ihre Dichte erreicht in Ifakara zwischen acht und neun Uhr abends einen Höhepunkt – den Umfragen zufolge gehen die meisten Einwohner zwischen neun und zehn ins Bett, wo sie geschützt sind. Ein zweites Mal schlagen die Mücken gegen fünf Uhr morgens zu, wenn viele Leute aufstehen.
Mücken sind gigantische Überlebenskünstler: ein Erfolgsmodell, auf allen Kontinenten außer der Antarktis vertreten, seit 100 Millionen Jahren. Mücken haben vermutlich schon Dinosaurier gestochen. Die schnelle Generationenfolge von nur zwei bis drei Wochen und die hohe Zahl der Nachkommen – bis zu 300 Eier pro Eiablage – machen sie extrem anpassungsfähig.
Um Malaria komplett zurückzudrängen, wie es sich die Vereinten Nationen bis 2030 zum Ziel gesetzt haben, müssen Menschen also auch außerhalb ihrer Betten und Häuser vor Mückenstichen sicher sein. Doch wie soll das in Tansania gehen, wo das monatliche Durchschnittseinkommen bei 75 US-Dollar liegt? Viele können sich nicht einmal Kerzen für schummriges Licht leisten, geschweige denn Insektenschutzmittel wie Autan bezahlen. Und größere, mückensichere Häuser bleiben für die Bauern Ifakaras erst recht unerreichbar.
Die Forscher am IHI experimentieren daher mit verschiedenen Methoden. Sie haben leere Tonvasen aufgestellt, die Mücken gerne als Tagesversteck benutzen. Die Vasen sind mit Pyriproxifen behandelt, das die dort ruhenden Insekten unfreiwillig zu ihren Eiablagestellen transportieren. Dort verhindert der Wirkstoff, dass sich Moskitolarven zu erwachsenen Insekten entwickeln. Insektizid-getränkte Sisalmatten zum Mitnehmen halten Mücken im Umkreis von bis zu fünf Metern einigermaßen fern, ihre Herstellung kostet nur zwei Dollar. Auch entsprechend behandelte Sandalen bieten etwas Schutz.
Doch es ist ein Wettlauf gegen die Zeit - und gegen die Reaktion der Mücken. „Sie werden immer häufiger resistent gegen Insektizide“, sagt Nancy Matowo, eine Forscherkollegin Okumus. Die WHO berichtet, die Überträger seien in 60 von 96 Ländern gegen mindestens eine chemische Klasse unempfindlich geworden. Äthiopien, Sudan und Afghanistan melden sogar Moskitos, die gegen alle vier verfügbaren Klassen von Insektiziden resistent sind.
„Wir wollten deshalb eine Methode entwickeln, die Mücken sofort tötet, ohne Insektizide“, sagt Matowo. Das Ergebnis ist die Moskito Landing Box, ein schwarzer Kasten aus Holz mit lamellenförmigen Öffnungen. Direkt dahinter verbergen sich unter Strom stehende Gitter, die Matowo und ihre Kollegen aus billigen Elektro-Fliegenklatschen ausgebaut haben. Ein Ventilator verbreitet einen nach menschlichem Schweiß riechenden Lockstoff, etwa von getragenen Nylonsocken. „Sobald die Mücken in die Box fliegen, treffen sie auf das unter Spannung stehende Gitter und sterben“, sagt Matowo. Eine Solarzelle auf der Box liefert den Strom, nachts kommt er aus einer Batterie.
In „Moskito City“, dem Versuchsgelände des Ifakara Health Institutes, hatte die Falle ihren ersten Einsatz. In den riesigen Gewächshäusern befinden sich Tümpel, Bananenstauden und Hütten mit Schlafplätzen, um das Jagdrevier der Mücken nachzubilden.
Die Ergebnisse sind vielversprechend, eine Landing Box reduziert die Zahl der stechwilligen Moskitos nach ersten Erkenntnissen auf einen Bruchteil. Matowos Kollege Arnold Mmbando arbeitet bereits an einer Weiterentwicklung: In einem ersten Schritt soll ein abschreckender Duftstoff die Mücken aus der Nähe der Menschen verjagen. Dort, wo die Insekten hin flüchten, wartet dann die Landing Box, die sie anzieht und tötet.
Mmbandos Chef Okumu ist überzeugt, dass Techniken wie diese nötig sind, um Malaria vollständig auszurotten. In der nächsten Phase der Bekämpfung gehe es wahrscheinlich nicht mehr um großangelegte Interventionen auf Staatsebene, glaubt er. Stattdessen brauche jede Region eine eigene, maßgeschneiderte Strategie. Damit sich im Kampf gegen die Mücke nicht nur der Gegner anpasst.
2. Im Labor gezüchtete Hoffnung
„Bitte nicht klauen, nicht bewegen und nicht öffnen“, steht auf Dutzenden weißen Eimern, die Sularto und seine Kolleginnen Rindhi und Nida in ihre Umhängetaschen packen, bevor sie auf die Motorroller steigen. Die drei Mitarbeiter des Eliminate-Dengue-Projekt fahren nach Kricak, ein Viertel im Nordwesten der indonesischen Stadt Yogyakarta.
Die unscheinbaren Plastikbehälter enthalten eine der modernsten Waffen gegen Denguefieber. Geht das Experiment gut, ist der Weg frei für den weltweiten Einsatz einer völlig neuen Technik gegen von Mücken übertragene Krankheiten. Wichtigster Baustein sind ausgerechnet: Moskitos - Hunderttausende, in Eimern aufgezogen.
Dengue verläuft selten tödlich, aber die explosive Ausbreitung macht die Krankheit zu einem globalen Problem. Etwa 390 Millionen Menschen erkranken pro Jahr, 30 Mal mehr als vor einem halben Jahrhundert. Waren schwere Dengue-Epidemien vor 1970 nur aus neun Ländern bekannt, tritt das Fieber heute in fast 130 Ländern auf. Das Wachstum von Metropolen, der globalisierte Reise- und Warenverkehr sind ideale Bedingungen für das Virus - genauer gesagt für seinen Überträger, die Tigermücke Aedes aegypti.
Die Tigermücken nutzen als Brutstätte jede kleine Lache, weggeworfene Getränkedosen, Untersetzer von Blumenkübeln. Sie reisen in alten Autoreifen auf Lastwagen in andere Länder, fahren in Containerschiffen um die Welt. Während Aedes aegypti hauptsächlich in den Tropen und Subtropen vorkommt, breitet sich die verwandte asiatische Tigermücke Aedes albopictus in Europa fortwährend aus. In der Nähe von Freiburg gibt es bereits eine Population. Im Zuge der Klimaerwärmung könnten weite Teile Europas von diesen Mücken, die unter anderem Dengue und Zika übertragen, besiedelt werden. Wissenschaftler sehen für den Zeitraum 2030 bis 2050 ideale Lebensbedingungen für Aedes albopictus im Westen Deutschlands, in den Benelux-Ländern und dem Süden Englands.
In Yogyakarta soll der Vormarsch der Mücken aufgehalten werden - durch das Bakterium Wolbachia. In den 1920ern entdeckten US-Forscher diesen Einzeller und glaubten zunächst, einen neuen Krankheitserreger gefunden zu haben. Doch der Organismus schien niemandem zu schaden. Nach heutigem Wissensstand besiedeln Wolbachia-Stämme etwa 60 Prozent aller Insektenarten.
Die Insekten stört diese Infektion erst einmal nicht. Es gibt aber einen eigentümlichen Aspekt: Wolbachia-Bakterien manipulieren die Fortpflanzung ihrer Wirtstiere. Sie können über Eizellen, nicht aber über Spermien eines befallenen Insekts weitergegeben werden. Alle Nachkommen eines Weibchens mit Wolbachia sind also ebenfalls mit Wolbachia infiziert. Hat ein Männchen Wolbachia und paart sich mit einem nichtinfizierten Weibchen, wird das Bakterium zwar nicht übertragen, aber die Eier können sich nicht entwickeln, weil eine Zelle ohne Wolbachia mit einer wolbachiainfizierten nicht kompatibel ist.
Das bremst, wenn auch nur anfangs, ein Stück weit die Fortpflanzung der Mücken. Der ausschlaggebende Effekt aber ist die Weitergabe der Bakterien an künftige Generationen, denn auf diese Weise befallen die Mikroben höchst effektiv ganze Insektenpopulationen.
Und so verbreitet sich auch eine für die Menschen entscheidende Eigenschaft: Britische Wissenschaftler fanden 2008 heraus, dass Wolbachia Fruchtfliegen gegen Viren wie Gelbfieber, Zika und Dengue resistent macht. Können Wolbachia-Bakterien auch die Übertragung von Dengue-Viren auf Menschen stoppen? In der Natur befällt Wolbachia keine Tigermücken der Art Aedes aegypti. Dem australischen Biologen Scott O’Neill gelang es jedoch nach Tausenden Versuchen, Mücken mit Wolbachia zu züchten. In ihnen vermehren sich Dengue-Viren so gut wie gar nicht. Eine kleine Zahl von Wolbachia-Mücken kann diese Eigenschaft innerhalb weniger Monate in einer ganzen Population verbreiten.
Das ist der Plan in Yogyakarta. Die Non-Profit-Organisation Eliminate Dengue ist auch in Brasilien, Vietnam, Kolumbien und Australien aktiv, aber die indonesische Universitätsstadt mit drei Millionen Einwohnern ist perfekt, um die Wolbachia-Technologie erstmals in großem Stil zu testen. Es ist ganzjährig heiß, selbst während der Trockenzeit regnet es regelmäßig, ein ideales Klima für Tigermücken. Indonesien rangiert hinter Brasilien auf Platz zwei der am schlimmsten von Dengue betroffenen Länder.
In einem Teil der Innenstadt verteilen die Wissenschaftler für sechs Monate Wolbachia-Mücken, der Rest der Stadt dient zum Vergleich, um den Versuch möglichst kontrolliert ablaufen zu lassen. Die Gesundheitsbehörden überwachen für zwei Jahre die Entwicklung der Dengue-Infektionen. Die Projektleiter hoffen auf einen Rückgang von mindestens 50 Prozent.
Rindhi klopft an eine heruntergelassene Jalousie. „Hallo! Wir sind vom Eliminate-Dengue-Projekt, ist jemand zu Hause?“ Der Stadtteil Kricak besteht aus einem unübersichtlichen Gewirr winziger Gassen. Mit einem Satellitenbild in der Hand müssen die drei Mitarbeiter immer wieder nach dem Weg fragen, um ihre weißen Eimer zu verteilen. In jedem 50 mal 50 Meter großen Planquadrat des Viertels hat sich ein Haushalt bereit erklärt, einen Eimer zu beherbergen.
Für den Erfolg der Wolbachia-Technologie ist nicht entscheidend, wie viele Mücken in der Stadt leben, sondern dass die Mehrheit Wolbachia in sich trägt. Aus früheren Studien wissen die Organisatoren, dass der Wolbachia-Anteil in der Population innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Beginn der Freisetzungen auf mindestens 80 Prozent steigt und auf diesem Niveau stabil bleibt.
Nachdem ein Hausbewohner aufgetaucht ist, bereitet Rindhi mit ihrer Kollegin Nida den Eimer vor: Ein Liter Wasser, darin ein orangefarbener Papierstreifen mit 60 bis 80 Wolbachia-infizierten Mückeneiern, eineinhalb Tabletten Fischfutter als Nahrung für die Larven. Nach neun oder zehn Tagen werden die Mücken schlüpfen.
Wenn die Mücken einmal ein Haus gefunden haben, wo sie Leute stechen und Eier legen können, bleiben sie dort, verstecken sich, suchen allenfalls die nächsten Nachbarn auf, wenn die Gebäude nah beieinander stehen. Sie fliegen nahezu geräuschlos, rund einen Meter über dem Boden, ihr Biss schmerzt kaum. Ihre Opfer finden sie tagsüber, anhand des Geruchs von Schweiß und ausgeatmeter Luft. Ein einziges Weibchen kann für seine Blutmahlzeit bis zu acht Menschen nacheinander beißen. So verbreiten die Insekten die Erreger.
Dengue ist eine höchst unangenehme Krankheit, die auch Knochenbrecherfieber genannt wird. Zwar können Infektionen auch so mild wie eine schwere Erkältung verlaufen. Doch meist zwingen sie Patienten mit extremen Kopf- und Gliederschmerzen, hohem Fieber und Schwäche tagelang ins Bett. Tückisch sind Komplikationen, die auftreten können, wenn das Fieber gesunken ist und die Erkrankten sich schon auf dem Weg der Besserung wähnen. Dann kommt es zu inneren Blutungen, der Blutkreislauf kann zusammenbrechen und die Patienten geraten in einen Schockzustand. Schätzungen zufolge verläuft Dengue bei etwa einem Prozent der Erkrankten tödlich, Kinder sind überproportional häufig betroffen.
„Dengue ist eine Krankheit, die Panik in der Bevölkerung verursacht“, sagt Adi Utarini, Professorin an der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta. „Wenn es einen Fall in der Nachbarschaft oder in der Familie gibt, bekommen die Leute riesige Angst, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie die nächsten sind.“ Die Regierung ruft immer wieder dazu auf, Brutstätten zu beseitigen. “Aber es ist sehr schwierig, das wirklich regelmäßig und sorgfältig genug zu tun. Und Brutstätten können sehr versteckt liegen”, meint Utarini.
Sie habe alles wie verrückt geputzt, das Bad, die Küche, jeden Tag, um jeden Tropfen stehendes Wasser loszuwerden, erzählt Sanniwati Sukamto, als das Eliminate-Dengue-Team auf seiner Tour zu ihr kommt. Ihre ältere Tochter, die elfjährige Natalia, hat vor einem halben Jahr Dengue gehabt, drei Tage lang lag sie im Krankenhaus. „Bestimmt hat sie sich in der Schule angesteckt“, schimpft Sukamto. „Ich hatte solche Angst. Sie hatte nicht mehr das kleinste bisschen Kraft.“ Es war für sie keine Frage, ob sie den Eimer bei sich aufstellen lässt. „Das ist gut, nicht nur für unser Haus, auch für die ganze Nachbarschaft“, sagt sie und hält spontan einen Vortrag über Wolbachia und Tigermücken. „Uns wurde alles erklärt“, sagt Sukamto zufrieden.
Natürlich stellen die Indonesier auch Fragen nach der Sicherheit. Sie wollen wissen, ob die Wolbachia-Mücken zu irgendeiner Art von Monster mutieren könnten, ob sie selbst als Versuchskaninchen benutzt werden. Zwar hat die Technologie bereits unabhängige Risikoeinschätzungen durchlaufen, mit dem Ergebnis, dass die Freisetzung von Wolbachia-Mücken nur geringste Risiken birgt.
Trotzdem kritisieren Wissenschaftler, dass niemand genau weiß, was Wolbachia im Körper einer Mücke anstellt. Zumindest ist die Mutationsrate der Bakterien extrem niedrig, ihr Erbgut verändert sich also kaum. „Selbst wenn sie mutieren – was könnte Schlimmes dabei herauskommen?“ fragt Scott O’Neill. „Vielleicht, dass sie nicht länger die Viren in Schach halten. Das wäre schon das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.“ Andere Gutachter sehen die größte Gefahr darin, dass die Maßnahme voreilig zum Erfolg erklärt wird und andere Schutzmaßnahmen heruntergefahren werden.
Bei ihrer Tour durch Kricak weisen Sularto, Rindhi und Nida deshalb darauf hin, dass die Einwohner unbedingt weiter Mücken-Brutstätten trockenlegen und sich vor Stichen schützen sollen. Aber die Menschen begleiten das Projekt mit großem Optimismus, vielleicht sogar zu enthusiastisch. Das Team bereitet sich darauf vor, dass das nicht unbedingt so bleiben wird. Wenn beispielsweise Denguefälle auftreten, könnte die Unterstützung bröckeln. “Das hier ist Forschung, das Ergebnis der Studie kennen wir nicht”, sagt die Wissenschaftlerin Bekti Andari. “Es kann auch ein Fehlschlag sein.“
Solange, bis das Ergebnis feststeht, wollen zwei Megastädte in Südamerika nicht mehr warten. Der Beweis, dass Wolbachia-Mücken zumindest in Laborversuchen auch Zika-Viren nicht weiterverbreiten, hat die Methode zu einem der wenigen Hoffnungsträger gegen Zika gemacht. Deshalb ist geplant, Anfang 2017 im brasilianischen Rio de Janeiro und in Medellin in Kolumbien Wolbachia-Mücken auszusetzen, auf einem Gebiet, in dem fünf Millionen Menschen leben. Obwohl die Wirksamkeit nicht endgültig bewiesen ist - und die Unbedenklichkeit auch nicht.
Die Aktion in Südamerika ist keine Forschung mehr, sondern eine politisch motivierte Maßnahme. Die Bilder von Babys mit zu kleinen Köpfen - eine vermutete Folge der Zika-Infektion - sind um die Welt gegangen, die Behörden stehen unter Druck, etwas gegen das Virus zu unternehmen. Möglicherweise setzen sie die Gesundheit von Millionen aufs Spiel. Möglicherweise ebnen sie aber auch den Weg zum endgültigen Sieg über Dengue und Zika.
3. Evolution spielen
Die Moskitos, die in Zukunft vielleicht einmal Millionen Menschenleben retten werden, leben in einem Keller in Südkalifornien, den nur eine Handvoll Personen betreten darf. Hinter zwei schweren Stahltüren, von denen sich eine jeweils nur dann öffnen lässt, wenn die andere geschlossen ist, schwirren sie in Popcorn-Bechern herum und saugen Blut von Kühen in sich auf.
Es sind Mücken der Gattung Anopheles stephensi, die in Indien als wichtigster Überträger von Malaria gelten. Die Insekten im US-Exil allerdings sind dazu nicht fähig. Denn die Arbeitsgruppe von Anthony James an der University of California in Irvine hat ihnen zwei Gene eingesetzt, die den Malaria-Erreger ausschalten. Doch das ist noch nicht alles: Würden die Insekten aus den Popcornbechern sich mit wilden Anopheles stephensi paaren, könnten auch die Mücken der folgenden Generation keine Menschen mehr mit Malaria anstecken. Ebenso wenig deren Nachkommen und die Nachkommen der Nachkommen. Nie wieder.
Fast seine gesamte Karriere hat der 65-jährige James auf dieses Ziel hingearbeitet. Er kennt die Genetik der Mücken in- und auswendig, er hat die Konstrukte in ihrem Erbgut erfunden, die verhindern, dass die Insekten den Malaria-Parasiten weitergeben. Doch der letzte und entscheidende Schritt - dass sich diese Eigenschaft in einer Population verbreitet - daran haben seine Mitarbeiter und er sich die Zähne ausgebissen. Alles was sie ausprobierten, funktionierte nicht so wie gewünscht. Doch jetzt ist James’ Moment gekommen: Im vergangenen Jahr wurde ein einfacher wie effektiver Trick erfunden, der die Gen-Mücken zu einer neuen Alternative der Krankheitsbekämpfung machen kann.
Diese Technologie heißt Gene Drive. Sie verleiht einem Gen Superkräfte bei der Vererbung. Während sonst bei sexueller Fortpflanzung stets ein Gemisch von väterlichen und mütterlichen Erbanlagen entsteht, setzt sich beim Gene Drive immer das manipulierte Merkmal durch. Im Fall von Anthony James’ Mücken heißt das: Ein paar Gene-Drive-Insekten könnten theoretisch innerhalb weniger Generationen ein ganzes Moskitovolk immun gegen den Malaria-Erreger machen. Ohne weiteres menschliches Zutun. Auch für Tigermücken, die Dengue, Gelbfieber oder Zika übertragen können, sind Gene Drives in Entwicklung. Ließen sich also globale Gesundheitsprobleme durch die Freisetzung von ein paar Gene-Drive-Mücken lösen?
Die Idee ist auch deshalb so verführerisch, weil der Erfolg aller anderen Maßnahmen gegen Mücken davon abhängt, dass Menschen sie anwenden. Dass sie Insektizide versprühen, stehendes Wasser beseitigen, in dem die Mücken brüten können, zum Schlafen unter imprägnierte Netze kriechen, und zwar regelmäßig, täglich, für immer. Genau deshalb sind auch schon so viele Versuche gescheitert. Entweder die Menschen lassen die Bekämpfung schleifen, oder die Mücken gewöhnen sich an die eingesetzten Chemikalien – sie sind bereits heute gegen zahlreiche Insektengifte resistent.
Die neue Methode wäre viel effizienter und billiger als Insektizide oder durch “normale” Genmanipulation sterilisierte Moskitos, von denen immer wieder riesige Mengen ausgesetzt werden müssen, um eine Wirkung zu erzielen. Noch dazu kommt die Technologie zu einem Zeitpunkt, wo die rasante Ausbreitung des Zika-Virus die Verwundbarkeit durch Krankheiten offenlegt. Die Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates hat ihre Förderung für Gene-Drive-Forschung im September von 40 auf 75 Millionen US-Dollar aufgestockt. Gates glaubt, die Technologie könne bereits in zwei Jahren eingesetzt werden. „Die Möglichkeit liegt direkt vor uns, wir müssen nur zugreifen“, sagt der Genetiker Francis Collins, Direktor der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH.
Aber sollen wir wirklich zugreifen? Insekten, die frei in der Umwelt fremde Gene verbreiten, sind eine andere Kategorie als genmanipulierte Mäuse, die nie ein Labor von außen sehen. Gene drives sind ein Spiel mit der Evolution. Was, wenn sich das DNA-Konstrukt unbeabsichtigt auf andere Arten überträgt? Oder wenn zufällige Mutationen sich per Turbo-Vererbung verbreiten, die Malaria noch gefährlicher machen? Wer soll über den Einsatz von Lebewesen entscheiden, die an Landesgrenzen nicht Halt machen? Gene drives sind wie die Übel aus Pandoras Büchse: Einmal in der Welt, lassen sie sich nicht zurückholen.
Gene drives wurden durch die 2012 entdeckte Molekular-Schere Crispr/Cas9 möglich. Damit lassen sich Veränderungen am Erbgutmolekül DNA in einer Präzision vornehmen, die vorher nicht oder nur mit hohem Aufwand zu erreichen waren. Beim Gene Drive bleibt es aber nicht beim Entfernen oder Hinzufügen einzelner Gene. Wissenschaftler bauen das Crispr/Cas9-Werkzeug gleich mit in das Erbgut ein. Dort spürt das System fortan wie ein Jagdhund jede ursprüngliche Version des veränderten Gens auf. Zum Beispiel, wenn bei der Paarung eine unerwünschte Genvariante dazukommt. Cas9 entfernt diesen DNA-Schnipsel, und die Zellen bauen stattdessen eine Kopie des manipulierten Gens ein. So entstehen bei der Fortpflanzung im Idealfall ausschließlich Zellen mit den erwünschten Genvarianten.
In Anthony James’ Labor hat diese Turbo-Vererbung bei den Malaria-Mücken gut geklappt. Ein Test, ob die beiden eingebauten Gene wirklich die Verbreitung des Malaria-Erregers Plasmodium stoppen, steht noch aus. In früheren Experimenten ohne Gene Drive hat dies jedoch funktioniert.
Aber die meisten Fragen, wie sich Gene-Drive-Mücken auswirken, sind ungeklärt. Crispr/Cas9 ist zwar im Vergleich zu früheren Techniken ein präziseres DNA-Werkzeug. Doch schneidet die Molekül-Schere auch mal an Stellen, wo das nicht beabsichtigt war. Diese sogenannten Off-Target-Effekte könnten überhaupt keine Folgen haben. Sie könnten aber auch bewirken, dass etwas völlig Unvorhersehbares mit einer betroffenen Mücke passiert.
Und schließlich sind Moskitos auch enorm anpassungsfähig, sie haben gegen so gut wie alle Insektizide Resistenzen entwickelt. Warum sollten Mücke oder Erreger nicht auch gegen die Gene-Drive-Behandlung unempfindlich werden? Bestehende Gesetze zur Freisetzung von gentechnisch manipulierten Organismen decken die Möglichkeiten der Methode überhaupt nicht ab. Selbst wenn es doppelt oder dreimal so lange dauert, wie von Gates avisiert, Gene-Drive-Mücken einsatzbereit zu machen, ist das womöglich immer noch zu schnell, um alle Risiken zu identifizieren.
Trotz Doppel-Stahltür leben wegen der mit der Technologie verbundenen Risiken in Anthony James’ Kellerlabor keine Tigermücken mehr, die Überträger von Dengue und Zika. James hat die Insekten verbannt, denn Tigermücken sind auch in Kalifornien heimisch. Falls also ein Insekt entkommen wäre, hätte es theoretisch überleben und sich fortpflanzen können. “Es ist besser, wenn woanders an Gene Drives bei Tigermücken gearbeitet wird”, sagt James. “In Großbritannien besteht dieses Risiko zum Beispiel nicht.”
Trotz der schwer abzuschätzenden Risiken plädieren einige Forscher in den wenigen Laboren weltweit, die an Gene Drive arbeiten, aber bereits für noch radikalere Lösungen als Malaria-resistente Moskitos. Sie möchten die wichtigsten krankheitsübertragenden Arten komplett ausrotten. Am Londoner Imperial College wurden Anopheles-Mücken so verändert, dass Weibchen durch den Gene Drive steril werden. Die Wissenschaftler argumentieren, dies sei sicherer, als nur das Virus auszuschalten. Schließlich könne die Malaria-Resistenz durch Mutationen wieder verloren gehen.
Anthony James überzeugt das nicht: „Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass man wirklich alle Malaria-Mücken in einer Region mit einem Kill-Mechanismus erwischen kann. Irgendwo werden immer welche unentdeckt übrig bleiben und sich dann umso stärker vermehren.“ Außerdem würde bei seiner Gene-Drive-Variante, die nur den Krankheitserreger stoppt, keine Art aus dem Ökosystem entfernt, wo sie womöglich eine wichtige Rolle spielt. Computermodelle, die solche ökologischen Effekte abbilden, müssten aber noch erheblich weiterentwickelt werden, bevor sie überhaupt für eine Risikoabschätzung geeignet seien, bemängeln die National Academies of Science, ein Beratergremium der US-Regierung.
„Wir kennen diese Mücken und ihr gesamtes Erbgut wirklich ganz genau, wir können einen Gene Drive so konstruieren, dass das Risiko minimiert wird“, sagt Anthony James. Mücken bewegen sich zudem meist nur in einem Radius von rund 100 Metern. Ein in einem afrikanischen Dorf freigelassenes Insekt würde sich also nicht blitzschnell über die Welt verbreiten – wenn überhaupt, würde das sehr lange dauern. Viele der Ängste hält James deshalb für übertrieben.
Wenn Wissenschaftler den Gene Drive beispielsweise auf Gene ausrichten, die nur in Mücken vorkommen, bliebe eine Übertragung auf andere Organismen folgenlos. Auch die Machart der Gene Drives selbst hat sich seit den ersten Veröffentlichungen bereits weiterentwickelt. Der Turbo-Vererbungsmechanismus kann beispielsweise durch einen weiteren Gene Drive überschrieben werden - eine Art Notbremse für den Gen-Turbo. Ein anderes Verfahren, das „Daisy Drive“ getauft wurde, schaltet den Gene-Drive-Mechanismus nach einer Zeit von selbst ab. Der Biochemiker Kevin Esvelt vom MIT sagt aber auch: „Es ist unmöglich, jedes erdenkliche Risiko dieser Technologie zu antizipieren.“
Unter dem Strich bleibt die Frage, ob es womöglich ethisch fragwürdiger ist, die Technik nicht zu nutzen - angesichts von Hunderttausenden Toten Jahr für Jahr? „Nichtstun resultiert auf jeden Fall in Leiden und Tod“, gibt Anthony James zu bedenken. Daraus eine moralische Verpflichtung abzuleiten, die Methode einzusetzen, geht ihm aber zu weit. Einige seiner Kollegen würden die Situation allerdings durchaus so interpretieren, sagt der Amerikaner. Die Bill & Melinda-Gates-Stiftung, die als größter privater Geldgeber massiven Einfluss in der Gesundheitspolitik ausübt, hält die Gene-Drive-Technologie bereits jetzt für unverzichtbar, um Malaria auszurotten. Im Oktober versprach auch der indische Milliardär Ratan Tata Forschern der University of California in San Diego 70 Millionen US-Dollar, um die Technologie zu erforschen und indische Biologen darin auszubilden.
Doch so groß der Optimismus auch ist, die Technologie steckt noch im Anfangsstadium. Und die Natur bleibt unberechenbar, wie auch Anthony James bei einem Versuch mit genmanipulierten Mücken in Mexiko feststellen musste. Seine damals noch ohne Vererbungsturbo genveränderten Mücken-Männchen sollten sterile weibliche Nachkommen zeugen. Im Labor hatte das wunderbar funktioniert und Moskitovölker nach einigen Wochen zuverlässig ausgelöscht. Allein, in den großen Freiluftkäfigen, bei realen Wetterbedingungen, wollten sich die Weibchen einfach nicht mit den Gentech-Männchen paaren.