Vor dem Fenster wartet ein Tag. Eine Mottokarte hängt unentschlossen im Büro der Anstaltsleiterin an der Wand zwischen Sprüchen des Dalai Lama: „Ich kann auch nett. Bringt aber nichts.“ Daneben: ein schläfriger Beamter.
Moritz* kommt rein. Groß, kurze Haare, vollständig tätowierte Arme, ein ehemaliger Motorrad-Rocker, der den Kopf einzieht, weil er sonst gegen den Türrahmen knallt. Rocker ohne Motorräder sehen immer etwas deplatziert aus.
Moritz ist auch unentschlossen: Einerseits hatte er gerade einen Saxophon-Auftritt und wurde von den Mithäftlingen gefeiert, weshalb er schon glücklich sei; andererseits habe seine Familie ihn nicht dabei sehen können.
Moritz’ Anstalt gilt als Vorzeigeknast: Viele Freizeitangebote, das Personal freundlich. Aus dem gesamten Bundesland wollen Gefangene hierher. Moritz durfte. Das zweite Mal ist er im Gefängnis. Dieses Mal, sagt er, habe er einfach Glück gehabt.
Trotzdem ist das Leben hier nicht leicht. „Wenn ich meine Familie nicht hätte, ich glaube, ich würde das nicht durchstehen“, sagt er und wischt sich mit der großen Hand über den Kopf. „Ich sehe viele hier, die haben von Anfang an gar keinen. Das ist echt hart.“
Die Familie ist im Grundgesetz besonders geschützt. Das gilt auch im Gefängnis. Familie und Freunde spielen eine wesentliche Rolle bei der Resozialisierung. Sie stützen und trösten und bilden die Schnittstelle zur Außenwelt. Deshalb muss der Kontakt mit ihnen von den Anstalten besonders gefördert werden – sie dürfen ihn nicht unterbinden.
Einerseits ist das für Anstalten ein Segen. Denn ohne sie wäre es für sie viel schwieriger, die Inhaftierten wieder in ein soziales Netz einzubetten. Angehörige sind Motivation, etwas aus sich zu machen und sich zu ändern. Aber Besuche durchdringen auch die Anstaltsmauern und drinnen wollen sie alles kontrollieren. Daher sind Vollzugsbeamte äußert misstrauisch. Für sie bedeutet der Kontakt mit der Familie ein permanentes Austarieren: Einerseits wollen sie Sozialkontakte fördern und Familien zusammenhalten, andererseits wollen sie möglichst viel mitkriegen. Denn wer weiß, vielleicht sind Freunde oder Familie sogar Teil des Problems?
Für Moritz beginnt jeder Tag um fünf. Dann ist es draußen noch dunkel und Moritz steht mit der ersten Zigarette des Tages am geöffneten Zellenfenster. Gitterstäbe, sagt er, sehe man irgendwann nicht mehr. Draußen dröhnen Lastwagen über die dunkle Landstraße wie große, wütende Glühwürmchen.
In Gedanken gehe er mit den Menschen zur Arbeit. Fahre die Lastwagen über die Straße.
Es ist einsam. Es passiert nichts. Eine Mumie im Sarkophag träumt vom Draußen.
Seine Opfer, das weiß Moritz, sind noch da. Sie werden ihm nicht verziehen haben, so dumm, das zu glauben, ist er nicht. Manche träumen noch von ihm; und Moritz auch von ihnen. Die Bilder kommen fast jede Nacht.
Moritz war drogenabhängig. Um an Stoff zu kommen - Crystal ist auf Dauer teuer -, suchte er sich Arbeit, die er heimlich und im Dunkeln verrichten konnte; Crystal lässt deine Haut aussehen wie die einer alten Hexe und zieht dir die Zähne. So, dachte er, könne er niemanden unter die Augen treten. Also trieb Moritz im Milieu Crystal-Schulden ein – von anderen Konsumenten. Er sagte am Telefon nur: „Wir sehen uns.“ Es war als Warnung zu verstehen; meistens sah man sich sehr schnell.
„Ich stand abends vor der Tür“, erzählt er. „Ich ging rein und setzte mich und dann mussten sie den Müllsack auspacken; den hatte ich mitgebracht. Darin lag der Schnitzelhammer.“
Viele hätten geweint und gefleht und um Aufschub gebeten. „Aber wenn ich erst mal da war, war es zu spät“, sagt Moritz. Such es dir aus, sagte er dann: Schnitzel oder Schulden. Viele konnten nicht zahlen.
"Du kannst das halt auch nicht reparieren“, sagt Moritz heute. Ein paar Mal wurden Leute von damals in die Haftanstalt eingeliefert und hatten so große Angst vor ihm, dass sie sich wieder verlegen lassen wollten. Moritz seufzt: „Niemand sollte Angst vor einem anderen Menschen haben.“ Er sagte dann: Es ist vorbei. Aber niemand glaubte ihm. Wenn man ihn reden hört und dabei sieht, kann man ihm durchaus glauben, dass das Gefängnis ihn verändert hat. Aber nicht nur die Anstalt ist misstrauisch: Jeder Beobachter ist es.
Anfangs hat Moritz noch regelmäßig an alle Bekannten geschrieben. „Aber irgendwann“, erzählt er, „habe ich nur noch Smileys auf das Briefpapier gemalt. Was passiert hier schon? Mir geht es gut, aber ich möchte nicht jeden Tag über das Essen erzählen oder dass ich heute wieder auf dem Hof war.“
Zu seiner Familie, seinen Eltern und Geschwistern, hat Moritz persönlichen Kontakt. Er telefoniert mit ihnen, sie haben mittlerweile einen kurzen Anfahrtsweg. Bei seiner letzten Haftstrafe mussten sie fast drei Stunden fahren.
Moritz‘ Eltern sind einflussreiche Leute. Sie stehen zu ihrem Sohn und halten ihn – auch nach außen und für jedermann sichtbar – an die Familie gebunden. „Meine Mutter hat sich anfangs natürlich sehr schwer getan mit der Situation“, sagt Moritz. „Aber ich denke, dass man mit der Zeit auch lernt, damit umzugehen.“
Seit fast fünf Jahren unterhält Moritz‘ Familie zu Hause eine Wohnung für ihn, zahlt bereitwillig seine Versicherungen, die Anfahrten und Anwaltskosten. Sie bringen Waren mit – meist im Wert von 20 Euro pro Besuch –, und sie konnten einen Fernseher organisieren, der verplombt in die Anstalt gebracht wurde, um zu unterbinden, dass verbotene Gegenstände darin eingeschmuggelt werden. Er hat ein recht komfortables Leben hier.
Aber neben dem Fernsehen und gelegentlich Zeitungen sind die Angehörigen der einzige Draht zur Außenwelt. Schlechte Angehörige sind Pech und Schwefel. Gute Angehörige sind Gold wert.
Aber auch ihnen gegenüber sind Anstalten misstrauisch. Sie bewachen sie, sie observieren sie, sie können sich in den Besuchsräumen kaum ungestört unterhalten.
Auch Frauenbesuch ist im Gefängnis streng reglementiert. In fast jedem Haftraum hängen dafür die Pin-up-Girls, die Becken seitlich vorgeschoben, eine Hand hinter dem Kopf. Unerreichbar. Zum Freiheitsentzug gehört auch der Entzug der sexuellen Selbstbestimmung. Außer Wichsen ist nichts mehr. Pornos sind verboten und werden, wenn sie gefunden werden, sanktioniert und konfisziert.
Ein großes Problem, das alle Häftlinge beschreiben, ist, dass Beziehungen kaum eine Chance haben. Dass gerade über Haftstrafen, die mehrere Jahre dauern, die gemeinsamen Themen verloren gehen. Dass Gefangene fühlen, wie sie nichts mehr beizutragen haben zum Leben der Menschen draußen.
Es ist schwer für jemanden, der in Haft sitzt, einen Menschen von draußen zu beeindrucken. Häftlinge glauben, dass ihnen fehlt, was potenzielle Mitbewerber haben: ein Leben, von dem sie erzählen könnten.
Mit einer Frau schreiben, das ist nicht leicht. Es ist ja eh schon nicht leicht, aber gerade frischen Beziehungen gegenüber sind die Anstalten äußerst misstrauisch. „Es gibt viele Frauen, die lernen Häftlinge über Kontaktportale kennen“, sagt ein Anstaltsleiter. „Diese Frauen haben ein Samaritersyndrom und wollen Menschen retten; das ist vielleicht romantisch für die, mit einem Knacki und so. Aber da müssen wir auch die Gefangenen vor Enttäuschungen schützen.“
Auch emotional wird man bevormundet. Die Anstalt entscheidet mit, wen man lieben darf. Angehörige sprechen immer wieder von Schikane.
Auch Moritz hatte eine Freundin. Das ist eine Weile her, ein paar Jahre schon, das war vor dem Knast und eine richtige Liebesgeschichte. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Crystal Meth liebte sie nicht. Moritz nahm es jeden Tag.
Crystal war Moritz' zweite Geliebte gewesen; anfangs fürsorglich und umgarnend, ihretwegen war er aus dem Motorradclub geflogen, wo seine alten Freunde waren, aber diese „Abfalldrogen“ nicht duldeten.
Aber als sie hatte, was sie wollte, ihn, zeigte sie ihr zweites Gesicht. Crystal wollte die andere Frau loswerden, wollte Moritz ganz für sich allein. Crystal braucht keine Nebenbuhler. Crystal hasst, wenn jemand zuschaut und möchte ungestört sein.
Eines Tages – Moritz kam gerade vom Beschaffen nach Hause – stand seine Freundin in der Tür. Tränen in den Augen. Eine gepackte Tasche neben sich. „Ich gehe jetzt“, sagte sie, jedenfalls wenn Moritz sich richtig erinnert; er war so zugedröhnt und verwirrt. „Und dieses Mal ist es für immer.“
Daraufhin sei das Meth ganz bei ihm eingezogen. Keine Heimlichkeiten mehr. Nur der Kummer blieb. Das Meth sorgte dafür, dass Moritz keinen Besuch mehr bekam und zog an Sonnentagen die dunklen Gardinen zu.
„Freiwillige Chemotherapie“, sagt Moritz heute. Am Schluss war er froh, als man ihn festnahm – wegen gefährlicher Körperverletzung: „Das war ganz schlimm damals. Mich hat die Inhaftierung gerettet.“ Heute hat er wieder Kontakt zu seiner Ex-Freundin.
Die Angehörigen sind immer miteingesperrt. Vor dem Besuch werden sie durchsucht, hören sich vom Personal einen flapsigen Spruch über das Piercing an, werden in den großen Raum geführt, in dem niemand unter sich ist und der mit Kameras überwacht wird. Dort sitzen sie dann – mit Gruppen anderer Familien zusammen –, während Beamte durch eine Scheibe blicken. In den Arm nehmen: wird manchmal untersagt. Küssen: wird manchmal untersagt. Niemand kann schlüssig sagen, warum.
Vor einem Besuchsraum hängt ein Schild mit der Warnung, dass hier nicht gestillt werden darf. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Die Häftlinge seien doch sexuell ausgehungert, da wolle man unnötige Reize vermeiden. Häftlinge stehen unter Generalverdacht.
Oder: Eine Sozialarbeiterin sagt zu einem Vollzugsbeamten sinngemäß, dass es doch schön wäre, wenn die Häftlinge etwas malen könnten, das man in die tristen Flure hängen könnte. Szenen aus ihrem Leben zum Beispiel. „Was soll das bitte sein?“, fragt der junge Beamte: „Außer Koks und Hanfpflanzen ist da nichts.“ Diese Abwertungen sollen nicht unnötig pauschalisiert werden; es gibt viele Beamte, die sind nicht so. Symptomatisch für den Umgang sind sie trotzdem.
Die Anstalten misstrauen nicht nur den Freunden und Bekannten. Den Frauen und den Familien. Sie misstrauen auch den Inhaftierten selbst. Sie reden über sie wie über eine Putzfrau, über die man keine Vorurteile haben möchte, aber doch vermutet, dass sie heimlich klaut.
Wenn Moritz Briefe schreibt oder bekommt, werden Adressaten und Absender genau überprüft: Gehören sie zur Familie? Wenn nein: Wer sind sie dann? Was ist der Grund des Schreibens?
Wenn es nicht der Anwalt ist oder eine Behörde, sondern ein Privatmensch, dann wird häufig nachgefragt. Die Anstalt will alles unter Kontrolle behalten. Briefe müssen oft geöffnet abgegeben werden – damit nichts rausgeschmuggelt werden kann; auf dem umgedrehten Weg funktioniert das genauso. Inhaltlich werden sie aber in der Regel nicht geprüft.
Aber es gibt auch Anstalten in Bayern, da werden die Briefe komplett mitgelesen, sagt ein Mitarbeiter eines Sozialdienstes, der anonym bleiben will. „Ich schreibe regelmäßig an meine Klientel – und da habe ich mal Tests gemacht: Von 15 Briefen waren 14 bei Ankunft geöffnet worden.“ Bayern, sagt der Mann - und das bestätigen auch mehrere Häftlinge -, lese im Wortlaut mit. Das ist verboten, von außen kommende Briefe werden in der Regel nur von außen kontrolliert, also befühlt. Das Mitlesen ist eigentlich nur gängige Praxis in der U-Haft, wenn ein Prozess läuft. Dann werden Briefe gesichtet, um Absprachen und Austausch zu verhindern. Viele Angehörige schildern, dass man in der U-Haft mehrere Wochen keinen Kontakt habe.
Manche Briefe werden auch einfach zurückgehalten, Gefangene bekommen davon manchmal nichts mit. Dann ist die Post weg, als wäre sie nie geschrieben worden.
In Anstalten muss man misstrauisch sein. Das ist der Job. Gefängnismitarbeiter überprüfen jeden, der zu Besuch kommen will. Häftlinge können ein Codewort mit dem Personal vereinbaren, das ein Besucher kennen muss; damit die Insassen vor manchen Leuten auch Ruhe finden.
Das Schlimmste, sagen Gefangene, wäre, wenn ein Angehöriger im Sterben liegt – und sie können nicht bei ihm und der Familie sein. Das Zweitschlimmste: Frauen haben draußen jemanden anderes, und drinnen bekommst du es nicht mit. Das quälende Gefühl der Eifersucht und der Kummer sind im Gefängnis viel schlimmer, weil jemand draußen einfach sagen kann: Das war’s. Tschüss dann.
„Da drehen Leute hier ganz schön durch“, sagt Moritz. „Das sind echt Dramen. Ich bin daher froh, dass ich das nicht hatte.“ Der Kontakt zu seiner Ex-Freundin bestand wieder, als Moritz in Haft mit dem Crystal aufhörte. „Aber ich habe ihr gesagt: Du musst das nicht mit mir durchstehen. Das habe ich nicht verdient. Du musst gehen und wen anders haben. Das ist okay so.“
Er überlegt.
„Manchmal denke ich auch, sie wäre stolz“, sagt Moritz, „wenn sie mich so sehen könnte. Dann würde sie vielleicht wissen, dass die Trennung und ihre Worte am Ende doch für etwas gut waren.“
Um intim zu werden, aber auch um Zeit mit der Familie zu verbringen, dafür gibt es im Gefängnis die Langzeitbesuche. Sie dauern länger als die üblichen etwa anderthalb oder zwei Stunden und finden in einem extra Raum statt. Er ist nicht überwacht. Einige Anstalten haben die Betten mittlerweile durch Auszieh-Couches ersetzt, damit die Frauen sich nicht direkt beim Betreten zum Beischlaf aufgefordert fühlen.
Als Kriterium für Langzeitbesuche gilt: Ein Paar sollte schon vor der Haft verheiratet gewesen sein oder zusammengewohnt haben. Neuen und unbekannten Frauen werden solche Besuche in der Regel verwehrt: auch um Prostitution zu verhindern. Welche Beziehung, die nicht den Kriterien entspricht, sich für Langzeitbesuche qualifiziert, entscheidet das Personal.
Um möglichst viel Kontakt zu ermöglichen, haben einige Anstalten mittlerweile Telefone auf den Zellen. Eine bestimmte Anzahl an Nummern kann sich ein Häftling registrieren lassen, die Anzahl ist in den Bundesländern unterschiedlich, aber die Telefonkosten sind hoch, dass es eigentlich eine Unverschämtheit ist; die Nummern werden von der Anstalt überprüft. Man muss seinen Mobilfunk- oder Festnetzvertrag einschicken, um sich auszuweisen. Zudem werden auch Erkundigungen über die Person über das Internet eingeholt. Manchmal, aber selten, wird sogar mitgehört.
In Sachsen und Bremen gibt es mittlerweile Skype-Besuche, damit man sich direkter hören und sehen kann und nicht dauernd weit anreisen muss. Vermutlich auch: um Personal zu sparen. Für E-Mail-Austausch können sich Häftlinge auf einer Plattform registrieren, die Nachrichten werden dann vorher von den Anstalten geprüft.
Manche JVAs haben extra „Kinder-Besuche“. Häftlinge sollen möglichst oft Kontakt zu ihrem Nachwuchs aufnehmen, daher fallen diese Besuche nicht in das sonst streng reglementierte Besuchskontingent. Aber manche Häftlinge beantragen sie, sagte eine Anstaltsleiterin, geben den Kindern kurz einen Kuss und setzen sie dann anderthalb Stunden auf den Fußboden, weil sie nur „mit ihrer Frau reden wollen“. Immer ist Misstrauen, getarnt als Erfahrungswert.
Moritz zieht kein Misstrauen mehr auf sich. Das ist vorbei. Ein halbes Jahr noch, dann wird Moritz’ Posten als „Schänzer“ oder „Hausarbeiter“, der aufräumt und das Essen verteilt, neu vergeben werden: Es ist einer der vertrauensvollsten Jobs im Gefängnis, den Häftlinge machen dürfen. Sie arbeiten direkt mit dem Personal. Das geht nur bei guter Führung.
Ein halbes Jahr noch, dann wird Moritz entlassen. Nach zwei Drittel der Strafe kann gehen, wer sich gut führt und ebenso gute Prognosen hat. Moritz führt sich vorbildlich. Er hat auch eine erfolgreiche Drogentherapie in Haft hinter sich.
Während seiner Drogentherapie sei ihm klargeworden, sagt Moritz, was er angerichtet habe. „Ich hatte überlegt, meinen Opfern Briefe zu schreiben, es waren wirklich Opfer – auch so körperlich. Ich wollte mich entschuldigen.“ Aber dann krabbelte die Befürchtung in ihm hoch, es könne ihn doch nur wieder präsent machen und die Menschen würden Angst bekommen.
Moritz überlegt auch, nach der Haft nicht direkt wieder nach Hause zu ziehen. So könnten seine Opfer Abstand gewinnen und müssten nicht fürchten, dass er wieder vor der Tür stehen könnte. „Sie kennen mich ja nur so“, sagt Moritz. „Wenn du im Gefängnis sitzt, weiß kein Mensch, wie du heute bist. Sie fragen in meiner Gegend schon, ob ich den Knast übernommen hätte.“ Das erzählt Moritz und trägt dabei wieder einen Müllbeutel mit sich. Aber mit dem räumt er heute die Küche auf.
„Ich habe aber auch Angst“, sagt er. „Angst davor, draußen nicht klarzukommen. Angst davor, alle wieder zu enttäuschen.“
„So“, sagt der Beamte, der zwei Stunden schläfrig im Stuhl unter der Mottokarte saß. „Zeit vorbei. Kommen Sie zum Ende, bitte.“
Moritz steht auf und nickt.
Die Bedingung für dieses Gespräch war, dass ein Beamter dabei ist. Man wolle ja nicht in den Notizblock gucken. Mehr Begründung gab es nicht. Selbst bei einem vorbildlichen Häftling wie Moritz. Jeder misstraut hier jedem.
*Name von der Redaktion geändert.
Die Recherche zu dem Projekt „Acht Häftlinge“ ist eine Kooperation von Süddeutscher Zeitung, Bayerischem Rundfunk und Correctiv.