Saubauer, glücklicher!

Buch Zwei

Das echte Bayern hinter den Alpen-Klischees? Wer dieses Land verstehen will, sollte in seinen urwüchsigsten Winkel fahren. Willkommen im Rottal, an dem die Moderne irgendwie vorüber gegangen ist. Oder?

Fotos: Sebastian Beck; Text: Andreas Glas und Hans Kratzer

Das neue Löschfahrzeug parkt neben der Kirche, 7,5 Tonnen, hochglanzpoliert, am Scheibenwischer ein Blumenkranz. Das halbe Dorf ist da, die Schützen, die Reservisten, der Mütterverein, alle in Uniform, alle haben ihre Fahnen dabei. Es ist ein Samstag im Mai, Fahrzeugweihe, „ein großer Tag“, sagt der Bürgermeister. Dabei hätten die Eggstettener ja lieber ein noch größeres Gefährt gehabt.12 Tonnen, es war schon bestellt. Dann haben sie gemerkt: Ihr Feuerwehrhaus ist zu kurz dafür. Es ist halt wie immer: Selbst bei großen Ereignissen schaffen es die Niederbayern irgendwie, sich kleinzumachen.

Niederbayern, wie das schon klingt. Nach einem Landstrich, in dem die Menschen geduckt gehen, um sich nicht den Kopf zu stoßen am brettharten Selbstbewusstsein der Oberbayern. Denkt der Amerikaner, Japaner, ja, Münsteraner an Bayern, dann denkt er an Postkartenhäuser am Chiemsee, an die Alpen, an diesen größenwahnsinnigen Märchenkönig. Der Amerikaner weiß das nicht, aber er denkt an: Oberbayern. An Niederbayern denkt keiner, Niederbayern kennt kaum einer. Niederbayern hat keine Postkartenhäuser, keine Alpen, und König Ludwig wäre nie auf die Idee gekommen, hier ein Schloss hinzustellen. Wäre Bayern eine Schallplatte, wäre Niederbayern die B-Seite.

Wer sich wirklich für den Freistaat interessiert, der sollte nicht nur das Oktoberfest kennen und die Münchner Hausberge. Der sollte auch dem anderen Bayern eine Chance geben, einem Land, das echt ist, direkt und noch voller Überraschungen. Der sollte mitten ins Herz Niederbayerns fahren, ins Rottal. Zur freiwilligen Feuerwehr, zum Saubauern Muselmann, zum Moosbüffel Hartl. Am besten mit der Rottalbahn, dem Betriebssystem der Gegend.

In den Dörfern im Rottal gibt die Feuerwehr den Ton an, wie hier in Eggstetten.
In den Dörfern im Rottal gibt die Feuerwehr den Ton an, wie hier in Eggstetten.

Die Strecke ist seit 129 Jahren dieselbe, von Neumarkt-Sankt Veit bis runter nach Passau, knapp 100 Kilometer. Nicht der Rede wert, wäre da nicht dieses abenteuerliche Panoptikum, das die Fahrt eröffnet. Ein Hügelland, so sanft, so offen, dass man froh ist, dass keine Berge den Blick verstellen. Es geht im Kriechtempo dahin, weil kaum ein Bahnübergang gesichert ist, keine Schranken, keine Lichter. Aus dem Fenster der Rottalbahn betrachtet, ist Bayern kein Hightech-Land: wenig Laptop, viel Lederhose. Hier findet man Entschleunigung zwischen Weilern, die altehrwürdige Namen tragen: Unterelend, Zenzlhub, Waldhiebl, Hollkronöd, Kottigstelzham.

Oder Eggstetten, wo der Pfarrer jetzt den Wedel in den Weihwasserkessel taucht, das Löschfahrzeug bespritzt und den Segen spricht: „Allmächtiger, ewiger Gott, du hast den Menschen für ein Leben in Gemeinschaft geschaffen.“ Ein Leben in Gemeinschaft, ein gottgewolltes – das trifft diesen Winkel ziemlich gut. Nirgends in Bayern gibt es vergleichsweise mehr Katholiken, mehr Feuerwehren. Eggstetten hat 500 Einwohner, fast jeder Dritte ist Feuerwehrler. „Bist du bei der Feuerwehr, gehörst du halt dazu“, sagt Albert Harböck, 47, zweiter Kommandant.

Dazugehören, für die Rottaler ist das ein Lebensthema. Dazugehören ist hier keine Option, es ist Notwendigkeit. 

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