Der Mann, der Österreich regieren will, wirkt an diesem sonnigen Herbsttag 2016 wie die Müdigkeit auf zwei Beinen. Das Gesicht etwas aufgedunsen, der Blick glasig, dunkle Augenringe. Heinz-Christian Strache steht auf einer Bühne beim Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten, Arbeiterbezirk, viele Menschen mit Migrationshintergrund leben hier. In Trachtenjanker und Jeans wettert er gegen die "Islamisierung Österreichs und Europas". Ein paar Dutzend Menschen hören zu.
Nach der Rede marschiert er in eine abgesperrte Seitenstraße, Leibwächter begleiten ihn. In seinem Gesicht spiegelt sich Unzufriedenheit, die Stirn liegt in Falten. Sein Blick fällt auf den rechten Straßenrand, wo zwei Jugendliche stehen, dunkle Haare, dunkler Teint. Die Teenager sind Sinnbild für eine Entwicklung, gegen die der FPÖ-Chef vor wenigen Minuten gewettert hat. Straches Gesicht hellt sich auf, er steuert auf sie zu. Was sie beruflich machen, fragt er. "Du bekommst keinen Ausbildungsplatz?" Er empört sich. "Das finde ich ungerecht!" Nicht aufgeben, sagt er, weiter bewerben. Noch ein Selfie mit den Jugendlichen, Hände schütteln, alles Gute. Die beiden schauen Strache hinterher. Sie sind türkischstämmige Muslime, wie sie nun erzählen. "Der kann schon gut reden", sagt der eine in breitem Wiener Akzent. "Aber ich wähl‘ sowieso SPÖ."
Strache, einer der erfolgreichsten islamkritischen Rechtspopulisten, lässt sich am Rande einer Wahlkampfveranstaltung mit Muslimen fotografieren. Was ist das für ein Mann?
Fast ein Jahr später sitzt Heinz-Christian Strache in einem Innsbrucker Gasthaus mit Blick auf den blaugrünen Inn und hört sich die Anekdote an, er lacht. Ja, an die Burschen könne er sich erinnern. Er sieht frischer aus als im vergangenen Herbst, ausgeruht. Dabei ist er mitten im Endspurt für die österreichischen Parlamentswahlen am 15. Oktober. Seine radikal rechte FPÖ liegt den Umfragen zufolge bei etwa 25 Prozent, doppelt so viel wie die AfD hierzulande bei der Bundestagswahl. Ihm sei klar gewesen, dass die Jungs aus Wien-Favoriten nicht für ihn stimmen. Warum hat er dann mit ihnen geredet? Ach, die hätten so traurig geschaut.
Strache ist seit zwölf Jahren Chef der FPÖ, er hat sogar Chancen, als Vizekanzler in der nächsten österreichischen Regierung zu sitzen. Ein Politiker, der als junger Mensch im neonazistischen Milieu unterwegs war und dabei zweimal festgenommen wurde, ein Außenseiter, der es in die Mitte der Gesellschaft und nach ganz oben geschafft hat. Eine außergewöhnlich große Sehnsucht nach Anerkennung zieht sich als roter Faden durch sein ganzes Leben. Strache sei überaus eitel, mehr als alles andere brauche er Bewunderung, schildern politische Gegner und Freunde seinen Charakter, das sei fast schon ein "notorischer Zwang". Er wolle Macht und von möglichst vielen gemocht werden - auch von muslimischen Jugendlichen, die er an einem Straßenrand in Wien trifft.
Die Gier nach Bestätigung dürfte auch ein Grund sein, warum Strache heute fest in seinem Chefsessel sitzt und politisch immer weiter aufsteigt. FPÖ-Leute, aber auch Wiener Journalisten sprechen davon, dass er sich um die Funktionäre teilweise rührend sorge. Die Partei sei für den Populisten wie eine Familie.
Straches Hunger nach Anerkennung und Bestätigung hat den Ursprung in seiner Kindheit. Die Spurensuche beginnt im Wien der 1970er Jahre.
Der abwesende Vater
Lange bevor sich Strache im Trachtenjanker als Retter des Abendlandes inszeniert - er hört noch auf den Namen "Bumsti" - geht die Ehe seiner Eltern in die Brüche. Das Kind, damals drei Jahre alt, wächst fortan ohne Vater Heinz-Roland auf, ein Künstler und "Aussteiger", Anhänger der 68er-Bewegung. Die fehlende Vaterfigur wirkt sich auf den Sohn aus. Strache selbst spricht immer wieder davon, dass er in jungen Jahren ein "Suchender" gewesen sei. Er habe immer ein Bedürfnis nach "männlichen Vorbildern" gehabt, sagt er heute.
Mutter Marion arbeitet Vollzeit in einer Drogerie, um dem Kind den Internatsbesuch zu bezahlen. "Wir haben nicht viel gehabt, aber meine Mama hat immer geschaut, dass es mir gut geht", sagt Strache. Jeden Sonntagabend bringt sie ihren Sohn in die katholische Schule, am Samstagvormittag holt sie ihn wieder ab. Viel Geld bleibt nicht übrig, viel gemeinsame Zeit auch nicht, wie eine Jugendbekannte erzählt, die sich mit Strache an Fasching gemeinsam als Prinz und Prinzessin verkleidete.
Die Mutter wohnt heute immer noch in der gleichen Zwei-Zimmer-Altbauwohnung in der Keinergasse im 3. Gemeindebezirk Landstraße, in der Strache einst groß wird. Ein Wiener Arbeiter- und Migrantenviertel, unscheinbar und ruhig. Aus einer türkischen Bäckerei an der Ecke wabert der Duft von Sesamringen, daneben trinken ein paar alte Männer ihr Bier und schauen stumm den Autos nach, die sich in die Gasse verirren. Bauarbeiter renovieren gerade einige der Altbauten, auch das Haus der Mutter bekommt einen neuen Anstrich.
Strache, damals ein blasser Junge mit aschblonden Haaren, verbringt viel Zeit bei den Eltern seines abwesenden Vaters - dieser taucht allenfalls an Weihnachten auf. Ende der 90er Jahre, als Strache längst ein erwachsener Mann ist, sterben die Großeltern, der Kontakt zum Vater bricht komplett ab. Er schreibt auf 30 Seiten alles auf, was sich in ihm Jahrzehnte aufgestaut hat und schickt ihm die Aufzeichnungen. Für den Sohn ist der Brief eine "Aufarbeitung", für den Vater der Abschied. "Er hat mir gesagt, dass es seine einzige Aufgabe war, mich zu zeugen", erzählt Strache im Innsbrucker Gasthaus mit langsamen, deutlichen Worten, aber ohne merkbaren Wehmut. "Dafür bin ich ihm auch dankbar, denn sonst gäbe es mich nicht."
Wer den weißhaarigen Vater heute trifft, sieht sofort die äußerlichen Ähnlichkeiten zu Strache, vor allem die blauen Augen. Mit Journalisten will der alte Mann nicht über seinen Sohn sprechen, er möchte nicht einmal mit ihm in Verbindung gebracht werden. Den Namen Strache hat er deswegen abgelegt.
Ein erstes Scheitern und Männerbünde
Die väterliche Anerkennung bleibt Strache verwehrt, als Schüler findet er einen Ausgleich im Sport: Tischtennis, Schwimmen und Leichtathletik - alles probiert er aus. Der Junge gilt als "der lange, dürre Schnelle", erzählt Strache, er liebe den Wettkampf. Besonders gerne spielt er Fußball, sogar als rechter Flügelstürmer in der Schülermannschaft der Wiener Austria, doch zum Profi reicht es nicht. Mit 15 Jahren ein erstes öffentliches Scheitern: Er bricht die Schule ab. Im titelverliebten Österreich betonen heute noch studierte Gesinnungsfreunde, dass "der HC nicht einmal eine Matura" habe, das österreichische Abitur.
Der junge Strache beginnt stattdessen eine Lehre zum Zahntechniker. Gute Zähne braucht jeder Mensch, sagt Marion Strache zu ihrem Sohn, wenn du tüchtig bist, ist das ein guter Job.
Als 17-jähriger Lehrling lernt er einen Burschenschafter kennen, der ihm von der Mittelschulverbindung Vandalia erzählt, einem "lässigen Haufen", bei dem man fechten kann: Hier würden kein Schulabschluss und keine Titel zählen, sondern Mut und die Überwindung der Angst. Strache ist begeistert.
Er taucht ein in das Milieu der deutschnationalen Burschenschaften, in dem sich damals auch zahlreiche Alt- und Neonazis tummeln. Er findet Männerbünde, vor denen sich andere wohl fürchten: Mit Rechtsextremisten hält er paramilitärische Übungen ab und wird zweimal in Deutschland bei rechtsextremen Veranstaltungen vorübergehend festgenommen. Strache bewegt sich über Jahre am rechten Rand, bis heute hat er sich nicht dezidiert davon distanziert. "Erfahrungen zu sammeln, ist immer gut. Ich habe da auch gelernt, bis zu welchem Punkt ich gehen will und was ich ablehne", rechtfertigt er seine "drei Jahre" im Gespräch mit der SZ.
Ein Rechtsextremist als Vaterfigur
Ende der 1980er Jahre verliebt sich Strache in Gudrun Burger, sie ist seine große Jugendliebe. Ihr Vater ist Norbert Burger, ein landesweit bekannter Rechtsextremist. Es sei eine "schöne Zeit" gewesen, erklärt seine damalige Partnerin Gudrun heute. Norbert Burger wird, wie Strache selbst einmal erklärt, Vaterersatz für ihn. Ein Mann, der als Jugendlicher freiwillig in den Zweiten Weltkrieg zog, wo er an Hinrichtungen beteiligt war. Burger war auch Mitbegründer des "Befreiungsausschusses Südtirol", einer Terrororganisation, die Anschläge in Italien verübte. Dort wurde er zweimal in Abwesenheit verurteilt, einmal zu lebenslänglich und einmal zu 28 Jahren Haft.
“Er war ein liebevoller Mensch“, sagt Strache im Rückblick. "Aber seine Ideologie habe ich in vielen Teilen nicht unterstützt, da haben wir auch trefflich gestritten." Bis nach dessen Tod 1992 ist er Teil der Familie, pflegt den krebskranken Burger, wäscht und duscht ihn. Später zerbricht die Beziehung mit Gudrun.
Ende der 80er Jahre wendet sich Strache parallel zu seinen Aktivitäten in der neonazistischen Szene der FPÖ zu. Die 1955 von zahlreichen Altnazis mitgegründeten Freiheitlichen mischt damals gerade Parteichef Jörg Haider auf. Er wirkt fesch und agil, mit seinem Rechtspopulismus erregt er in ganz Europa Aufsehen. Viele junge Männer fühlen sich angezogen, auch Strache ist beeindruckt vom Kärntner Landeshauptmann. Er habe ihm schwärmerische Briefe geschrieben, wie Haider kurz vor seinem Tod 2008 für die Biografie "HC Strache" erzählt.
Ankommen bei der FPÖ
Den Einstieg in die Partei findet Strache 1989 durch den Zahnarzt Herbert Güntner, dessen Praxis er als Zahntechniker regelmäßig beliefert. Güntner amtiert damals als lokaler FPÖ-Chef im Heimatbezirk des 20-Jährigen. Er ist ebenfalls in einer rechten Burschenschaft, schimpft auf Sozialdemokraten und Konservative, die Österreich unter sich aufgeteilt hätten. Ein geifernder Radikaler ist der Mediziner nicht: Als 2015 viele Flüchtlinge nach Österreich kommen, behandelt Güntner Dutzende umsonst, erzählt er der SZ. Noch heute schwärmt er beim Gespräch in einem Wiener Kaffeehaus von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky, dem "letzten großen Staatsmann" Österreichs.
Auf den jungen Strache muss der Arzt vor mehr als 25 Jahren wie ein gemäßigtes Gegenstück zu seinem Umgang in der Neonazi-Szene wirken. Das neue Parteimitglied erzählt Güntner nichts von seinen rechtsextremen Aktivitäten, die zeitweise parallel laufen. Die FPÖ wirkt wie ein Ventil für seinen Ehrgeiz, Strache packt an, gilt als höflich und zuverlässig, er übernimmt Aufgaben, die anderen lästig sind. Güntner findet Gefallen an dem jungen Zahntechniker und fördert ihn, so weit er kann. Strache drängt voran, so weit man ihn lässt.
Widerstand von Haiders Leuten
Viele der Jung-Funktionäre, die unter Jörg Haider Karriere machen, beäugen Strache kritisch, als er Anfang der 90er in der Partei sichtbar wird. Mit Gleichgesinnten will er in die FPÖ-Jugendorganisation Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) eintreten - doch man lässt ihn nicht. Die von ihren Kritikern als "Buberlpartie" bezeichneten Haider-Vertrauten lassen seine Avancen abperlen: Er ist ihnen zu rechts, “ohne Niveau“.
Strache sucht nach anderen Wegen, um mit der FPÖ Anerkennung zu finden. Als Kommunalpolitiker erhält er Zuspruch von Menschen, die er gar nicht kennt. Das macht ihm Lust auf mehr. "Er fühlt sich in einem Bad in der Menge wohler als alleine in seinem Büro. Er saugt Menschenmassen richtig auf", erzählt Peter Westenthaler, ein langjähriger Parteikollege.
Mitte der 90er gibt Strache seinen Job als Zahntechniker auf, um sich komplett seiner Parteikarriere zu widmen. Sein Themenspektrum als Bezirksrat im Wiener Heimatbezirk Landstraße ist breit, Strache macht erste Gehversuche im Mikropopulismus: In einem Antrag will er die gesundheitlichen Gefahren von Biomüll erforschen lassen, er fordert mehr Polizeikontrollen in linken Wiener Veranstaltungsorten und Einblick in laufende Einbürgerungen.
"Strache ist umgänglich und geschickt aufgetreten", erzählt der SPÖ-Nationalratsabgeordnete Kai Jan Krainer, der mit ihm damals in der Bezirksvertretung anfängt. Der junge FPÖ-Mann will als seriös wahrgenommen werden. "In die Bezirksvertretung kam er im Anzug, fast schnöselhaft", sagt Krainer. Strache tritt ideologisch klar verortet auf, sucht aber demonstrativ Kontakt zum politischen Gegner. Der Freiheitliche taucht sogar auf einem Ball auf, den die SPÖ veranstaltet.
Strache will nicht nur von den anderen Politikern wahrgenommen werden, er dringt regelrecht auf Begegnungen mit möglichst vielen Menschen. Hausbesuche, Klopfen, Klingeln, Klinkenputzen - in Wien machen das bis dahin vor allem die Sozialdemokraten. Der österreichische Journalist Florian Klenk trifft den FPÖ-Kommunalpolitiker Ende der 90er Jahre. Ganz in Schwarz habe sich Strache damals gekleidet, sagt Klenk, "zackig" erklärt ihm der Jungpolitiker, man werde jetzt das Viertel "blockweise abarbeiten".
Die Kniffe der Macht
Mitte der neunziger Jahre trifft der angehende Populist auf seinen wichtigsten Mentor. Rainer Pawkowicz wird sein "politischer Ziehvater", wie es der FPÖ-Chef im Gespräch in Innsbruck formuliert. Der damalige Obmann der FPÖ Wien baut ihn systematisch zu seinem Nachfolger auf und zeigt dem Jungen die Kniffe der Macht, erzählt auch der parteinahe Geschichtsprofessor Lothar Höbelt von der Universität Wien. Pawkowicz habe Strache etwa beigebracht, wie man hinter den Kulissen Leute bei Laune halte. "Wenn jemand mal nicht bekommen hat, was er wollte, so hat man ihn zum Beispiel mit einer Reise belohnt", sagt Höbelt.
Privat steigt Strache durch seine Partnerin Daniela Plachutta in die bessere Gesellschaft auf. 1999 heiratet er die Tochter eines Star-Gastronomen. Das Paar bekommt zwei Kinder, wenige Jahre später wird die Ehe geschieden.
Straches große Stunde
Im Jahr 2000 kommt die FPÖ mit der konservativen ÖVP in die Bundesregierung, in Österreich und aus ganz Europa hagelt es Proteste.
Die Haider-nahen Parteifreunde, die Strache schon vor Jahren nicht in die FPÖ-Jugendorganisation gelassen haben, sitzen nun an Schaltstellen der Regierung. Strache hat sich in dieser Zeit ins Establishment des Wiener Landesverbandes vorgearbeitet, nun profiliert er sich mit parteiinternen Sticheleien gegen die Parteispitze.
Er ist einer der "Wortführer der internen Regierungskritiker", wie der damalige Verteidigungsminister Herbert Scheibner bei einem Treffen in Wien sagt. Strache punktet bei Anhängern, denen der Kärntner Landeshauptmann Haider zu wankelmütig und das Regierungsteam zu pragmatisch ist. In der Partei bleibt er damals noch in der Minderheit, doch die Zeit läuft für ihn. "Viele haben sich damals gedacht, wenn es so weiter geht, ist das nicht mehr die Partei, die man vertreten will", erzählt der FPÖ-Chef heute rückblickend, seine Stimme wird dabei etwas lauter im Innsbrucker Gasthaus: "Mit Haider konnte man nicht mehr rechnen."
Seine große Stunde schlägt 2005, als Jörg Haider die Partei mit einem Großteil der Funktionäre verlässt und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gründet. Strache wird Chef einer stark dezimierten FPÖ. Nur der harte Kern bleibt übrig, darunter viele Burschenschafter und stramme Nationalisten.
Weder die politische Konkurrenz noch die Medien nehmen ihn vorerst ernst, er wird als billige Kopie Haiders verlacht. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen ihn sogar Parteifreunde als "wenig intelligent". Mehrere FPÖ-Funktionäre hieven Strache in den Vorsitz, weil die Partei in Umfragen bei drei Prozent dümpelt und weil sein Wiener Landesverband damals finanziell liquide ist. Wenn er seinen Wahlkampfmanager Herbert Kickl nicht hätte, könne er nicht einmal Politik machen, sagt der ehemalige Vize-Parteichef Ewald Stadler, mit dem Strache sich 2006 überwirft, bei einem Treffen in Niederösterreich.
Der Grünen-Politiker Karl Öllinger, der seit langem mit dem FPÖ-Chef im Nationalrat sitzt, widerspricht dieser Darstellung. "Strache ist nicht so blöd, wie ihn manche bezeichnen. Er spielt mit Worten und Wahrheiten, entwickelt dabei einen Wortwitz, der ihn nicht so dumpf erscheinen lässt." Öllinger zufolge buhlt der FPÖ-Chef auch im Parlament permanent "konsensheischend" um Anerkennung quer durch alle Fraktionen.
Strache holt sich regelmäßig seine Dosis Bestätigung. Jemand, der ihn seit Jahrzehnten gut kennt, erzählt, wie der FPÖ-Chef Parteifreunde damit nerve. Bei Auftritten würde er manchmal "völlig sinnlos" mit politisch Andersdenkenden diskutieren, sein Tross müsse dann auf Strache warten: "Ihm ist es wohl wichtig, dass ihn die andere Seite ernst nimmt."
Als FPÖ-Vorsitzender schafft es Strache in seinen bislang zwölf Amtsjahren, die am Boden liegenden "Blauen" zu einem großen Player in der österreichischen Innenpolitik aufzubauen. Stück für Stück krempelt er seine Partei um, feuert Kader, die ihm gefährlich werden könnten und schart Getreue um sich. Die Spitzenriege FPÖ besteht nun fast nur aus Burschenschaftlern, alle sind weitgehend loyal. Der FPÖ-nahe Historiker Höbelt spricht von “Parteisoldaten ohne Ecken und Kanten“.
Es gibt langjährige Parteifreunde, die Strache vorwerfen, dass er zuerst um Bestätigung buhle und dann keine anderen Meinungen mehr toleriere. Sie würden sein Verständnis von Harmonie stören. Andersdenkende habe er eiskalt aus der FPÖ gedrängt, heißt es von mehreren Ex-Funktionären.
In der Öffentlichkeit tritt Strache vor allem am Anfang seiner Karriere als Parteiobmann aggressiv auf, wird in vielen Medienberichten als "Hassprediger" bezeichnet. Im persönlichen Umgang ist er dafür umso zuvorkommender, formuliert so, dass alle am Tisch irgendwie zustimmen können. Aber nur so lange kein Widerspruch auftaucht. Dann kann Strache knallhart sein. Das lässt er auch im Gespräch mit der SZ in Innsbruck spüren. Freundlicher Smalltalk dreht sich schnell in Empörung, wenn die Fragen ihm nicht zusagen. So reagiert Strache überaus gereizt, als zu seiner Zeit im Neonazi-Milieu nachgebohrt wird.
Neues Feindbild - mehr Akzeptanz
Das rechtsradikale Image will der FPÖ-Chef abstreifen, seine Partei politisch gemäßigter positionieren, damit sie weiter in die Mitte der Gesellschaft wächst, damit sie an die Macht kommen kann. Zum zentralen Feindbild erklärt er dazu den Islam, seine Partei deklariert er zur Verteidigerin des Christentums - und das, obwohl die Tradition der FPÖ klar antiklerikal ist.
Antisemitismus drängt Strache in den Hintergrund. "Wir haben auch in der FPÖ eine Entwicklung hingelegt", sagt der Parteichef, "und trennen uns konsequent von Leuten, die rote Linien überschreiten." Für den Historiker Höbelt von der Uni Wien ein logischer Schachzug: “Juden haben in Österreich ja auch zahlenmäßig keine große Relevanz mehr.“
Vom rechten Rand grenzt sich Strache allerdings nach wie vor nicht konsequent ab - auch nicht von seiner Zeit im Neonazi-Milieu.
Auch heute noch provozieren er und seine Funktionäre mit radikalen Aussagen und doppeldeutigen Aktionen, immer wieder hagelt es Klagen gegen politische Gegner und Medien. Als er die israelische Gedenkstätte Yad Vashem besucht, trägt er die traditionelle Kopfbedeckung seiner deutschnationalen Burschenschaft und keine Kippa. "Mehr Mut für unser Wiener Blut", steht 2010 auf den Plakaten für die Wahl in Wien. Auf seiner Facebookseite preist er 2016 die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" für ihren friedlichen Aktionismus.
Um im Becken der Sozialdemokraten erfolgreich Wähler zu fischen, stilisiert sich Strache zum Verfechter des "kleinen Mannes". Die neue Ausrichtung funktioniert: Die FPÖ fährt von Wahl zu Wahl mehr Stimmen ein. Für die kommenden Nationalratswahlen werden ihr 25 Prozent eingeräumt. "So viel Anerkennung hat in kurzer Zeit vermutlich keine Partei in Mitteleuropa gewonnen", sagt der Politiker sichtlich zufrieden als er in Innsbruck seine Erfolge aufzählt.
Strache hat sich als Außenseiter, als Kind einer Alleinerziehenden, als Schulabbrecher und trotz Vergangenheit im neonazistischen Milieu ganz nach oben gearbeitet.
Nun ist die Regierungsbeteiligung zum Greifen nah. Die Verbürgerlichung des Politikers Strache zeigt auch die zunehmende Akzeptanz der Rechten in der politischen Kultur Österreichs. Seine Vergangenheit im rechtsextremen Milieu ist nicht einmal mehr Randthema im Wahlkampf. Zum Kanzler will ihn zwar keine der anderen Parteien machen, aber eine Koalition mit ihm als Juniorpartner schließen weder SPÖ noch ÖVP aus. Kanzler Christian Kern versinkt mit seinen Sozialdemokraten in einem Dirty-Campaigning-Skandal, der die konservative ÖVP des Politstars Sebastian Kurz anschmutzen sollte. Tag für Tag werden die Affären der traditionellen Volksparteien größer und verworrener. In Straches Umgebung weist man dieser Tage maliziös darauf hin, dass die FPÖ der einzige "saubere Player" dieses Wahlkampfes sei.
Vor dem Sprung an die Macht
Der Strache vom Herbst 2017 gibt sich nach außen zahm und zufrieden, er hat noch einmal geheiratet, trägt Brille, hat sich ein elegantes Domizil am Rande Wiens eingerichtet. Für den Weg zur Macht wird der FPÖ-Chef auch ideologisch flexibel. Die aktuelle Kampagne ist im Vergleich zu früheren geradezu harmlos. Das zeigt sich auch in der Tiroler Landeshauptstadt, wo Strache nach dem SZ-Gespräch eine Wahlkampfrede hält.
Vor der Bühne unter dem “Goldenen Dachl” drängen sich Schaulustige, Schlagermusik dröhnt über den Platz. Er wettert jetzt gegen das Rauchverbot und die vielen Vorschriften, die die Wirtschaft angeblich knebeln. Den Islam und Flüchtlinge erwähnt er nur am Rande - ganz anders als noch vor einem Jahr bei der Veranstaltung am Viktor-Adler-Markt, wo Strache auf die beiden türkischstämmigen Jugendlichen traf.
Kürzlich erhielt der Rechtspopulist das "Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich" - eine hohe Auszeichnung im Land, die eigentlich alle Politiker nach zehn Jahren im Parlament bekommen. Der frühere Präsident Heinz Fischer (SPÖ) hatte ihm diesen Orden ursprünglich verwehrt, unter seinem Nachfolger Alexander Van der Bellen (Grüne) wird Strache schließlich doch ausgezeichnet.
Ein Stück Anerkennung. Glänzend
und zum Anfassen. Für Strache ein weiterer Schritt in die Mitte der
Gesellschaft. Ein weiterer Schritt zur Macht. "Man kann uns verzögern", sagt der
FPÖ-Chef und lehnt sich in seinem Holzstuhl zurück. "Aber man kann uns nicht
aufhalten."
Erschienen am 10. Oktober 2017
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