Jäger, Sammler, Vogelfreund

Blick ins Schattenreich des berüchtigten BND-Chefs Reinhard Gehlen: In seinem bisher unbekannten Privatarchiv, das der SZ vorliegt, finden sich Belege für die Bespitzelung von Willy Brandt. Der Agent hielt auch Kontakt zu Alt-Nazis. 

Uwe Ritzer und Willi Winkler

„Reinhard Gehlen verdankte seinen Aufstieg nach 1945 ja seiner legendären Aktion, bei der er Akten im Wald vergrub. Vielleicht hat er ja auch diesmal noch einige Kopien angelegt, die dereinst noch ausgebuddelt werden.“ Der Zeithistoriker Frank Bösch 2014 über die Geschichte des BND.

Die Vergangenheit kommt in zwei Pappkartons. Schmale Ordner, ein paar Schnellhefter, Stapel eng mit Maschine beschriebenes Papier, zusammengehalten von Gummibändern, die schon lange mürbe geworden sind vom lagern. 46 Blechdosen, in Leinensäckchen oder gelben Kodak-Schachteln, in jeder Filmdose eine Spule mit meterlangem Zelluloidstreifen, beim Öffnen verströmen sie den Geruch von Fixierer. Mehr als 100 000 Dokumente, sauber abfotografiert, systematisch auf Zelluloid archiviert, oft „geheim“ oder „streng geheim“ gestempelt.

Ganz offensichtlich hat Reinhard Gehlen wirklich einen weiteren Haufen hoch geheimer Akten vergraben: In den zwei Umzugskartons, auf den Filmen und den Papieren, die nun per Kurier bei der Süddeutschen Zeitung angeliefert worden sind, finden sich Hinterlassenschaften des mächtigsten Spions, den die Bundesrepublik je hatte. Die Akten und Mikrofilme erlauben einen Blick zurück in jene Jahre, in denen das junge Nachkriegsdeutschland seine Identität als demokratischer Staat mühsam erst noch finden musste, während der Kalte Krieg die Welt bereits in zwei feindliche Lager zerrissen hatte. Das Misstrauen der Spione und ihre Kommunisten-Paranoia waren so groß, dass die Agenten sogar Willy Brandt, den eigenen Außenminister, überwachen ließen. 

Das zu großen Teilen bisher unveröffentlichte Material, das der Süddeutschen Zeitung von einer vertraulichen Quelle zugespielt wurde, stammt aus dem Nachlass einer der umstrittensten und einflussreichsten Figuren der Nachkriegszeit. Für Freunde und Bewunderer war Gehlen, der Gründer des Bundesnachrichtendienstes BND, ein „Meisterspion“. Sie nannten ihn den „Spion des Jahrhunderts“. Neutralere Beobachter sprachen von einer „Legende“, einem „Mann ohne Gesicht“. Seine Gegner und Kritiker hingegen sahen in ihm – und sehen bis heute – den ewig gestrigen Schattenmann, der alte Kameraden aus Wehrmacht, SS und dem Nazi-Geheimdienst SD systematisch einsetzte, um das in der Nazi-Zeit erlernte Spionage- und Überwachungshandwerk in der Bundesrepublik auf altbewährte Weise fortzusetzen. Was gestern richtig war, konnte für einen Mann wie Reinhard Gehlen heute nicht falsch sein: Der entschlossene Kampf gegen Kommunismus und Bolschewismus. Wusste 1953 doch auch die CDU, die Partei von Kanzler Konrad Adenauer, auf ihren Wahlplakaten, womit den Bundesbürgern am wirkungsvollsten zu drohen war: Alle Wege führen nach Moskau.

Der schmächtige kleine Herr mit den abstehenden Ohren war ein paranoider Kommunistenhasser. Der frühere Ostfront-Offizier der Wehrmacht kannte im Kampf gegen alle, die er für links hielt, keine Regeln, weil er selbst im Rechtsstaat nie angekommen war. So offenbart dieser spektakuläre Aktenfund, wie der eigentlich für die Auslandsaufklärung zuständige BND-Chef nicht nur das DDR-Politbüro beschattete, sondern ebenso eifrig bundesdeutsche Spitzenpolitiker bespitzeln ließ. 

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