Kapitel 1/4

Schmutzige Geschäfte

Kapitel 1

Die vergiftete Insel

Der Bergbau auf Marinduque hat die Natur zerstört und die Menschen krank gemacht. Nun wehren sich die Opfer: Die kleine Insel will den größten Goldkonzern der Welt verklagen.

Von Marius Münstermann und Christian Werner

Zuerst war es nur eine kleine Wunde, wie sie sich die Fischer ständig zuziehen, wenn sie über die scharfkantigen Felsen zu ihren Booten klettern. Doch die Wunde an Wilson Manubas rechtem Fuß fraß sich tiefer und tiefer in sein Fleisch. Sein Bein schmolz, sagt Manuba, wie Kerzenwachs. Die Ärzte mussten das Bein amputieren, um Manubas Leben zu retten.

Eine Prothese kann Manuba sich nicht leisten. Deshalb bindet er die Schnürbänder seiner ausgeleierten Sportschuhe eng um den Stumpf, der einst sein rechter Unterschenkel war. Im anderen Schuh steckt das Knie seines linken Beins, das er hinter sich herzieht. Über die Jahre ist deshalb auch sein eigentlich gesundes Bein verkümmert. So kriecht er Tag für Tag die steilen Klippen hinab zur Calancan-Bucht auf Marinduque, einer kleinen Insel im Herzen der Philippinen.  

Beim Einholen der Netze schneiden sich die Fischer an den Nylonfäden. Deshalb sind auch Manubas Hände übersät von Wunden, die nicht heilen wollen. Manche sehen aus wie fette Warzen, aber es sind bösartige Tumore, Symptome einer Hautkrebsart.

Seine Finger sind bandagiert wie die eines Boxers. Wilson Manubas Leben ist ein Kampf. Er kämpft um sein Leben, gegen die Gifte im Wasser und in seinem Körper. Und er kämpft dafür, dass die Konzerne, die seine Insel und seine Gesundheit ruiniert haben, endlich bezahlen.

Jahrzehntelang haben sie im bergigen Hinterland Marinduques in riesigen Tagebauen Bodenschätze abgebaut – und dabei das tropische Paradies in eine toxische Müllhalde verwandelt. Die Abwässer aus den Minen in den Bergen landeten in der azurblauen Calancan-Bucht, in der Wilson Manuba jeden Tag fischt. Sie trübten das Meer milchig weiß und vertrieben die Fische. Wilson Manuba und die anderen Fischer der Calancan-Bucht fürchteten, keine Fische mehr fangen zu können.

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Bergbaukonzerne fördern die Rohstoffe, die wir für unser modernes Leben dringend brauchen: das Kupfer für die Ladekabel unserer Smartphones, die seltenen Erden für Platinen unserer Computer, die Metalle zur Herstellung unserer Autos und Flugzeuge. Doch Bergbau ist ein schmutziges Geschäft. Wie schmutzig es sein kann, davon erzählt die Geschichte Wilson Manubas und der Insel Marinduque.

Auf Marinduque lässt sich aber nicht nur beobachten, wie der Bergbau Menschen und Natur ruiniert. Wilson Manuba und viele andere Bewohner Marinduques wehren sich gegen die Konzerne. Sie wollen endlich Gerechtigkeit und verklagen den größten Goldkonzern der Welt. Deshalb ist dies nicht nur eine Geschichte über die Folgen des Bergbaus, sondern auch über die Versuche der Opfer, Gerechtigkeit zu erfahren – und eine Geschichte über die Macht der Konzerne, dies zu verhindern.

Das Kalkül der Konzerne

Einer der Wortführer der Proteste auf Marinduque ist Mike Magalang. Er kämpft seit vielen Jahren an der Seite der Bergbau-Gegner. Heute sitzt er im Provinzparlament und kümmert sich als Beauftragter für Risiko-Minimierung und Katastrophenschutz um die Sicherheit der Inselbewohner. Ein wichtiger Posten, denn die Bewohner Marinduques kämpfen nicht nur mit den Folgen des Bergbaus, sondern auch mit Naturkatastrophen: Die Insel wird Jahr für Jahr von Taifunen, Überschwemmungen und Erdbeben heimgesucht.

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Um zu beschreiben, was auf Marinduque passierte, verwenden Wirtschaftswissenschaftler den harmlosen Begriff “externe Effekte”. Dahinter verbirgt sich ein einfaches Kalkül: Umweltschutz ist teuer, Umweltverschmutzung kostet das Unternehmen dagegen nichts, solange der Staat nicht eingreift. Also verspricht die Firma Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum – und erhält dafür oft freie Hand. Die Kosten einer zerstörten Natur, für Ernteausfälle oder Krankheit trägt die Allgemeinheit.

So war es 2015 in Brasilien, als die Dämme zweier Rückhaltebecken der Eisenerzmine Samarco brachen und die giftige Flutwelle 16 Menschen tötete. Oder 2010 in Kolontár, Ungarn, wo das Deponiebecken einer Aluminiumhütte dem Druck nicht standhielt und der darin gelagerte Schlamm mehrere Gemeinden verwüstete und zehn Menschen tötete. Und weiter über Baia Mare, Rumänien nach La Oroya, Peru bis Chingola, Sambia: Die Liste verheerender Bergbau-Katastrophen ist lang.

Den Preis zahlen meist nicht die Konzerne, sondern die Bevölkerung und die Natur. Sie war das erste Opfer auf Marinduque: Der Tagebau hat eine vernarbte Insel hinterlassen. 

Tagebau in den Bergen Marinduques.

Catherine Coumans/ Mining Watch Canada, CC BY-SA 3.0

Tagebau in den Bergen Marinduques.

Auf riesigen Arealen haben die Konzerne die Erde abgetragen, um an die Erze zu gelangen. Darin gebunden sind die Metalle, auf Marinduque vor allem Kupfer, Gold und Silber. Um die Rohstoffe vom wertlosen Gestein zu trennen, wurden die Erze zermahlen. In einem Schaumbad lösten giftige Substanzen die Metalle vom übrigen Gestein. Der Großteil des Schlamms blieb als Abfallprodukt zurück – zusätzlich zum Abraum, der beim Abtragen der Erze in den Minen anfiel. Im Fachjargon werden diese Abfallschlämme tailings genannt.

Darin finden sich Rückstände der beigemischten Giftstoffe, zudem Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Arsen oder Cadmium. Diese kommen natürlich in der Erdkruste vor, doch erst durch die Metallgewinnung werden sie aus dem Gestein gelöst. Werden die tailings nicht sicher gelagert, sickern die Giftstoffe in Flüsse, Seen oder ins Grundwasser.

Auf Marinduque galt zunächst das Prinzip: Aus den Augen, aus dem Sinn. 

Minenabwässer werden in die Calacan-Bucht geleitet.

Catherine Coumans/ Mining Watch Canada, CC BY-SA 3.0

Minenabwässer werden in die Calacan-Bucht geleitet.

Aus diesen Rohren wurden von 1975 bis 1991 schätzungsweise zwanzig Millionen Kubikmeter giftiger Minenabwässer in die Calancan-Bucht entsorgt.

Der Deal mit dem Diktator

Für den Bergbau und die Umweltschäden auf Marinduque ist ein Konzern maßgeblich verantwortlich: Marcopper – ein Kunstwort, zusammengesetzt aus Marinduque, dem Namen der Insel, und copper, Englisch für Kupfer.

Die Menschen auf Marinduque munkelten jedoch von Anfang an, dass sich hinter der ersten Silbe ein anderer Namensgeber verberge: Ferdinand Marcos, der philippinische Diktator, Herrscher über ein armes Land voller Bodenschätze.

Heute sind die Philippinen der weltweit größte Produzent von Nickel. Außerdem verfügt das Land über die drittgrößten Gold- und die viertgrößten Kupfervorkommen der Welt. Auch Steinkohle, Silber, Eisen, Platin, Palladium, Uran, Erdöl und Erdgas gibt es in großen Mengen – die Philippinen sind ein Bergbau-Schwergewicht. Der Wert der philippinischen Erzvorkommen wird auf mehr als 1,3 Billionen US-Dollar geschätzt.   

Erst nach dem Sturz der Marcos-Diktatur entwirrten Anwälte in mehreren Prozessen das Firmengeflecht hinter Marcopper. Aus Gerichtsakten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, geht unter anderem hervor, dass Marcos durch ein verschachteltes Konzernkonstrukt fast die Hälfte der Anteile an Marcopper hielt.  

Neben Marcos war auch der kanadische Bergbaukonzern Placer Development an Marcopper beteiligt. Bereits Mitte der fünfziger Jahre sicherte sich Placer Development die Lizenz zum Abbau der reichen Erzvorkommen auf Marinduque. Das Problem: Die Bodenschätze Marinduques lagen unter einem geschützten Wald. Und: Die philippinische Regierung ließ damals nur beschränkt ausländisches Kapital ins Land.

Um 1969 endlich den ersten Tagebau in Betrieb nehmen zu können, gingen die Kanadier deshalb einen dubiosen Deal mit Marcos ein, der die Abholzung des Waldes erlaubte und den Bergbau auf Marinduque ermöglichte.

Das Ergebnis: Marcopper, ein philippinisch-kanadisches Konsortium, einzig gegründet für den Bergbau auf Marinduque. Placer Development hatte das nötige Know-how und lieferte das technische Gerät. Im Gegenzug durften die Kanadier 39,9 Prozent der Anteile an Marcopper erwerben.

Als Marcos das Kriegsrecht ausrief und die Philippinen zunehmend diktatorisch regierte, begann die Wirtschaft zu lahmen. Marcopper konnte seine Fördermengen aber kontinuierlich steigern, auf dem Höhepunkt der Produktion förderte die Firma bis zu 30.000 Tonnen Kupfererz am Tag.

Wenn es Gift schneit

1987 fusionierte Placer Development mit Dome Mines, ebenfalls aus Kanada. Es entstand Placer Dome, der damals drittgrößte Bergbaukonzern der Welt. Die Anteile an Marcopper hielten die Kanadier auch weiterhin.

Zu diesem Zeitpunkt war die Calancan-Bucht bereits ruiniert. Der giftige Schlamm, den Marcopper in der Bucht entsorgt hatte, vertrieb die Fische und erstickte die Korallen. Die Strömung schüttete die Minenabfälle über die Jahre zu einer künstlichen Landzunge auf. Wenn der Wind vom Meer kommt, weht er bis heute giftige Partikel an Land. “Schnee aus Kanada”, sagen die Fischer.

Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur 1986 verhängte die neue Regierung strengere Umweltschutzauflagen, die Marcopper zwangen, die Entsorgung der Abwässer in der Calancan-Bucht bis 1991 aufzugeben. Fortan lagerte der Konzern die Bergbauabwässer in den Bergen in alten Tagebauten, aus denen sich keine Metalle mehr gewinnen ließen.

Die tiefen Krater der ehemaligen Minen füllten sich mit einem giftigen Gemisch aus Regenwasser und Minenabfällen – so begann die zweite Katastrophe auf Marinduque.   

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