Alle Kapitel
10. Die Brandstiftung

10. Die Brandstiftung

Es ist heller Nachmittag, als es kracht. 15.05 Uhr an einem ruhigen, spätherbstlichen Novembertag. Die Stichflammen schießen aus den Fenstern, die halbe Hauswand in der Frühlingsstraße 26 stürzt in den Vorgarten. Die Explosion reißt die Türen aus den Scharnieren, Zwischenwände stürzen ein. Es brennt, die ganze erste Etage ein Flammenmeer. Man sieht durch die großen Löcher in den ersten Stock, erkennt die Hantelbank, die schweren Gewichte, die im Wohnzimmer stehen, daneben das Zimmer mit dem Hochbett und der Computerecke darunter. Dann dunkler, schwerer Rauch über dem Dach, der alles verhüllt.

Im ersten Stock des Siedlerhauses aus den Dreißigerjahren steht die Wohnung in Flammen, die von April 2008 bis November 2011 der Zufluchtsort für die rechtsradikale Terrorgruppe NSU war. Mittendrin ein Tresor und ein Waffenlager. Schon ist alles mit Ruß überzogen. Die Explosion hat tiefe Risse in die Trennwände zur Nachbarwohnung gerissen, die Flammen fressen sich schon in den Dachstuhl, der Rauch dringt durch alle Ritzen.

In der Nachbarwohnung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe lebt eine alte Dame. Charlotte Erber, die aus Westdeutschland nach Zwickau gezogen ist, in die Nähe ihrer Nichte, um im Alter nicht allein zu sein. Die alte Dame ist gehbehindert, schwer herzkrank, aber geistig klar, sie liebt ihre schöne Wohnung. Aber sie ist schon 89 Jahre alt, kann nur noch mithilfe ihrer Verwandten ihre Wohnung verlassen, sie geht am Rollator. Und sie hört schwer. Sie ist eine nette alte Dame, und sie und ihre Nachbarin, die sich "Liese" nennt, haben sich immer freundlich gegrüßt. An jenem Novembernachmittag klingelte es kurz bei Frau Erber. Dann roch es nach Rauch.

Die Positionen

Anklage

Die Bundesanwaltschaft hat Beate Zschäpe auch wegen schwerer Brandstiftung und dreifachen versuchten Mordes angeklagt – nicht nur an Frau Erber, sondern auch an zwei Handwerkern, die seit Wochen im Dachgeschoss arbeiteten. Dass sie gehört habe, wie die Handwerker das Haus für eine Kaffeepause verließen, sei nicht nachzuweisen. Für die Bundesanwaltschaft hat Zschäpe den Tod dieser drei Menschen im Haus in Kauf genommen. Und das angebliche Klingeln bei der Nachbarin Frau Erber hält sie nicht für erwiesen – auch wenn Zschäpe das behauptet. Aber auch ein Feuerwehrmann sagte, er habe vorsichtshalber überall geklingelt. Selbst wenn Zschäpe dort geklingelt hat, heißt das für die Bundesanwaltschaft doch nur: Sie hielt es für möglich, dass durch die Brandstiftung Lebensgefahr für die Nachbarin besteht. Sie hat sie aber nicht in Sicherheit gebracht und aus der Wohnung geführt, sondern nur geklingelt. Die alte Dame hätte ja einen Mittagsschlaf halten können. Das Klingeln wäre also ein völlig untaugliches Mittel gewesen, um Schaden von der Nachbarin abzuwenden. Und die Rauchgase, die durch die Ritzen in Charlotte Erbers Wohnung drangen, hätten innerhalb weniger Minuten tödlich sein können, erklärte ein Brandgutachter.

Verteidigung

Zschäpe war es sehr wichtig, diesen Vorwurf zu entkräften. Sie hat sich in ihrer Erklärung seitenweise dazu geäußert. Allein dieser Vorwurf kann ihr eine Verurteilung wegen dreifachen Mordversuchs einbringen. Selbst wenn sie nicht als Mittäterin bei den zehn Morden verurteilt wird, die Brandstiftung hat sie begangen. Als sie vom Selbstmord ihrer Gefährten erfuhr, habe sie nur noch einen Gedanken gehabt: Wie versprochen den letzten Willen der beiden zu erfüllen. Also: die gemeinsame Wohnung „abzufackeln“ und die Bekenner-DVDs zu verschicken. Im Abstellraum stand ein voller Benzinkanister.

Zschäpe betonte, sie sei sich sicher gewesen, dass ihre alte Nachbarin nicht da war. Sie habe an der Wohnungstür geklopft und geklingelt und „geschätzte ein bis zwei Minuten“ gewartet. Sie habe kein Geräusch gehört. Dann habe sie nach den Handwerkern im Dachgeschoss gesehen. Auch dort habe sie nichts gehört. Erst dann habe sie Feuer gelegt. Sie rettete dann das, was ihr am wichtigsten war: ihre zwei Katzen. Die Katzenkörbe drückte sie einer Nachbarin in die Hand, bevor sie flüchtete.

Was tut man, wenn man erfährt, dass sich die liebsten Menschen getötet haben? Erfüllt man ihren letzten Wunsch? Auch wenn man weiß, dass dieser Wunsch schrecklich ist?

11. Das Bekennervideo