Dieter Frowein kehrt in sein Gebäude zurück
Dieter Frowein betritt einen der Höfe des Pallasseums, er sieht die spielenden Kinder und die Erwachsenen, die im Schatten sitzen. Frowein lächelt. "Wir wollten, dass sich die Menschen hier treffen können", erzählt er. "Die Höfe sollten dem Gebäude Lebensqualität verleihen." Frowein hatte einen Plan für diesen Ort. Dieser Plan, glaubt er, ist aufgegangen.
Frowein ist einer der beiden Architekten des Pallasseums. Heute besucht er sein Werk zum ersten Mal seit Jahren wieder. Ein Werk, von dem er sagt: "Es ist ein Teil meines Lebens."
Jahrzehntelang galt das Pallasseum als schrecklicher Betonklotz, in dem niemand leben will. In dessen Höfen und Gängen sich nur Drogendealer, Fixer und Jugendgangs gerne aufhalten, aber kein Mensch, der gut leben will. Ob er selbst an seinem Gebäude gezweifelt hat, sagt Frowein nicht. Heute, meint er, würde er jedenfalls nicht mehr so bauen. Jürgen Sawade, Froweins Projektpartner, verstarb im Jahr 2014. "Er war davon überzeugt, dass wir hier was Großartiges gebaut haben."
In den siebziger Jahren erteilte der Berliner Senat Frowein und Sawade den Auftrag für die Anlage "Wohnen am Kleistpark", wie das Pallasseum zunächst hieß. Bauherr war ein privater Investor. Ein Traumjob, sagt Frowein. 500 Sozialwohnungen für etwa 2000 Bewohner sollten die Architekten an der Kreuzung von Potsdamer Straße und Pallasstraße bauen. Wie sie das machten, das blieb ganz ihnen überlassen.
Wo heute das Pallasseum steht, stand früher der Berliner Sportpalast. Einst kämpfte dort Max Schmeling, Weltstars wie Louis Armstrong, die Beach Boys und Jimi Hendrix traten dort auf, einmal im Jahr fand das legendäre Berliner Sechs-Tage-Rennen statt. Im Sportpalast rief Joseph Goebbels auch den "Totalen Krieg" aus. Dass sie für ihr Gebäude diese historischen Mauern einreißen sollten, war den Architekten egal. "Das ist nicht mein Problem", habe sein Partner Sawade dazu nur gesagt, erinnert sich Dieter Frowein. Sawade soll hinzugefügt haben: "Ich will hier gute Wohnungen für die Menschen bauen."
"Wir haben uns damals am Architekten Le Corbusier orientiert", sagt Frowein, als er durch den zweiten Hof des Pallasseums spaziert. Wie in den "Wohnmaschinen" des Schweizer Architekten sind die Wohnungen im Gebäude stets gleich konstruiert. Dennoch sollte das Pallasseum nicht nur eine Massen-Schlafstätte werden. Die Menschen sollten dort auch zusammenkommen können – in Geschäften und anderen gemeinschaftlichen Räumen.
Die Architekten bemerkten jedoch schnell, dass sie in der Gestaltung des Gebäudes nicht völlig frei waren. Der Bauherr Karsten Klingbeil hatte an Gemeinschaftsräumen kein Interesse. Der bekam vom Staat eine festgelegte Miete für jeden Quadratmeter Wohnraum, den er schuf. Für Gemeinschaftsräume bekam er nichts. Schon großzügige Treppenhäuser habe Klingbeil deshalb skeptisch beäugt, erzählt Frowein. "Und da ist uns die Idee mit den Höfen gekommen."
Zur Potsdamer Straße und zur Pallasstraße hin bauten Frowein und Sawade drei sechsstöckige Gebäude. Dazwischen legten sie die beiden Höfe an. "Wenn man so baut, dann ist die Größe der Höfe durch das Baurecht vorgegeben. Dagegen konnte der Investor nichts einwenden", sagt Frowein. So schufen die Architekten einen Treffpunkt für die Bewohner. Und auch die Geschäfte zur Straße hin sollten Leben in die Anlage bringen.
Als das Pallasseum 1977 nach drei Jahren Bauzeit fertiggestellt worden war, wurde es aber nicht für sein Gemeinschaftsleben bekannt, sondern geriet binnen kürzester Zeit in Verruf. In Anspielung auf den alten Sportpalast bekam es den Spottnamen "Sozialpalast" und galt fortan als Monster, das die Proportionen seiner Umgebung sprengte. Ein Fremdkörper im Kiez.
Das lag vor allem an dem dreizehngeschossigen Hochhaus, das Frowein und Sawade hinter die Höfe setzten. In diesem massigen Riegel auf Stelzen, der über das Grundstück hinausragt und die Pallasstraße überspannt, brachten die Architekten die meisten der 500 Wohnungen unter. Wie eine riesige Barriere liegt er mitten in Schöneberg und trennt den bürgerlichen Teil rund um den Winterfeldplatz von der Potsdamer Straße, die mit ihrem anliegenden Straßenstrich seit jeher als Problemkiez gilt.
Frowein steigt die Stufen hinauf in Richtung Hochhaus. Er blickt auf die Fassade, die vielen Balkone, die Satellitenschüsseln. "Den Riegel können wir nicht auf den Investor schieben. Das war schon unsere Idee", sagt er selbstironisch. Entschuldigen will Frowein sich nicht. Eher erklären. Das Pallasseum sei eben in der Epoche der großen Visionen entstanden. Stadtplaner und Architekten wollten damals die bestehenden Strukturen großflächig aufbrechen und Berlin von Grund auf neu bauen. Auch Frowein und Sawade waren von diesen Ideen überzeugt. Aber schon in den achtziger Jahren änderte sich der Zeitgeist und das Pallasseum galt als Schandfleck, der die Stadt kaputt macht.
Den Tiefpunkt erlebte der Sozialpalast aber im Jahr 1998. Klaus-Rüdiger Landowsky, der CDU-Fraktionschef im Berliner Stadtrat, wollte das "Kriminalitätszentrum" sprengen lassen. Im Fernsehen zeigte man die dreckigen und mit Graffiti verschmierten Flure des Gebäudes, Kamerateams besuchten Junkie-Wohnungen, die Zeitungen diskutierten am Beispiel des "Sozialpalastes" über die Verslumung der Berliner Innenstadtkieze.
Frowein hielt Landowskys Forderung damals für eine Stimmung, die wieder vorübergehen würde. Das Gebäude sprengen? Unmöglich. Frowein sollte recht behalten.
Denn bei den Bewohnern lösten die Diskussionen um ein Ende der Wohnanlage eine Trotzreaktion aus. Sie organisierten den Mietertreff KaffeeKlatsch sowie Freizeit- und Lernangebote. Der Bezirk Schöneberg unterstützte sie darin. 2001 erhielt das Pallasseum seinen heutigen Namen, mit dem alten Namen "Wohnen am Kleistpark" sollte auch das schlechte Image abgelegt werden. Im selben Jahr begann die Eigentümergesellschaft, das verwahrloste Gebäude zu sanieren.
Es entstanden Treppenaufgänge aus Glas. In den endlosen Fluren des Hochhauses wurden Trennwände eingezogen, das Wohnen für die Menschen dort sollte weniger anonym sein. Rund um das Pallasseum entfernten Landschaftsarchitekten die Parkplätze und Büsche. Sie legten einen Park und einen Vorplatz an, auch die Höfe gestalteten sie neu. Viele Bewohner sagen, dass sie seit diesem Zeitpunkt gerne im Pallasseum leben.
Nach eineinhalb Stunden verlässt Frowein das Pallasseum. "Vielleicht haben wir damals doch etwas gebaut, das funktioniert", meint er. Er sagt es bescheiden. Aber er klingt stolz.