Melanie Brandstädter erklärt ihre Liebe zum Pallasseum
Das Reich von Melanie Brandstädter erstreckt sich über zwei Zimmer, Einbauküche, Bad. Die Wände sind lachsfarben und voll mit Bildern ihres Mannes und der drei Kinder. Brandstädter sitzt im Wohnzimmer auf dem blauen Sofa, während die beiden Katzen Piepsi und Teddy um sie herum schleichen. Die 43-Jährige trägt einen blonden Kurzhaarschnitt und Tattoos an den Armen. Im Pallasseum lebt sie seit 20 Jahren auf 65 Quadratmetern. Und wird es wohl nie wieder verlassen.
Brandstädter wuchs in der Steinmetzstraße auf, nur wenige hundert Meter entfernt, hartes Pflaster, Raubüberfälle und Schlägereien. Als sie ausziehen wollte, war sie 24 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Es war schwierig, eine eigene Wohnung zu finden. Bis sie persönlich zur Hausverwaltung des Pallasseums ging. Dort bot man ihr sofort eine der vielen leerstehenden Wohnungen an, zwei Zimmer, 90 Quadratmeter. Freunde sagten: Pallas? Wie kannst du nur? Aber Brandstädter sagte zu.
Es war die dunkle Zeit des Pallasseums. "Die Scheiben waren kaputt, die Haustüren vollgesprayt, man hat sich gar nicht getraut reinzugehen", erinnert sich Brandstädter. Erzählt von Dealern, die Prostituierte vom benachbarten Straßenstrich mit ins Haus nahmen. Und dass sie hier manchmal Panik bekam. "Das war hardcore. Hier haben früher nur Chaoten gewohnt." Es war die Zeit, in der das Pallasseum kurz vor dem Abriss stand.
Die Geschichte des Pallasseums kann etwas über das Leben sagen. Nämlich, dass nach dunklen Zeiten auch wieder hellere kommen. Vielleicht steht Melanie Brandstädter auch deshalb so für das Pallasseum, weil es bei ihr genauso war.
Wenn sie von ihrem Leben erzählt, dann erzählt sie von Menschen, die ihr weh taten, von Enttäuschung und Gewalt. Ihre Wohnung ist penibel sauber und aufgeräumt. Auf dem Wohnzimmertisch hat sie drei Fernbedienungen parallel zueinander angeordnet. Vielleicht will sie wenigstens hier Ordnung halten, wenn es ihr schon im Leben nicht immer gelingt.
Denn Brandstädter erzählt auch, dass der Kiez sie einiges gekostet hat. Etwa die Beziehung zu ihrem Sohn. Sie weiß derzeit nicht, wo er ist. Bei seinem alkoholkranken Vater, vermutet sie. Abgerutscht.
Berlins Polizei zählt den Norden Schönebergs zu den "kriminalitätsbelasteten Orten" der Stadt. Gut einen halben Kilometer vom Pallasseum entfernt liegt der Straßenstrich an der Kurfürstenstraße. "Dort ist mein Sohn irgendwann gelandet", sagt Brandstädter. Drogen und Prostitution, sie habe ihn immer von all dem fern halten wollen. "Aber es hat nichts gebracht."
Aber weil das Pallasseum wie das Leben ist, ist es für Brandstädter auch der Ort einer zweiten Chance. An der Wohnzimmerwand hängt ein Bild vom 27. Juli 2000. Es zeigt Brandstädter in Weiß, im Innenhof des Pallasseums. Die Hochzeit mit ihrem zweiten Mann feierte sie auf dem Balkon ihrer damaligen Wohnung.
Aus dieser Beziehung hat sie einen zehnjährigen Sohn. Sie lächelt, wenn sie von ihm erzählt. Auch er merkt, dass er nicht in einem normalen Kiez aufwächst. Brandstädter sagt, man müsse das den Kindern einfach nur gut genug erklären. Mama, warum steht diese Frau denn da, habe er sie mal gefragt, als er eine Prostituierte sah. "Ich hab ihm einfach erklärt, dass sie Liebe mit anderen Männern macht und dafür Geld bekommt. Es ist für ihn okay."
Man könnte sagen, dass Brandstädter ihren Frieden mit dem Pallasseum gemacht hat. Aber das wäre untertrieben. Sie sagt, das Haus bedeute ihr alles. "Obwohl alles so ein bisschen doof ist. Aber, mein Gott."
Viermal ist Brandstädter innerhalb des Pallasseums umgezogen. Sie fühlt sich wohl hier. Früher, da sei man hier von Wohnung zu Wohnung gezogen, habe Kaffee getrunken, sei zum Imbiss und habe dort gemütlich gequatscht. Das habe zwar abgenommen, aber noch immer bringe ihr eine Nachbarin jeden Tag Böreks: "Die rennt dann durch die ganze Etage und verteilt ihre Backwaren."
Nachbarschaft sei ihr wichtig, sagt Brandstädter. Es sei ohnehin schwierig, im Pallasseum wirklich privat zu leben. Man fühle sich immer beobachtet. Brandstädter weiß genau, wann der Mann in der Wohnung über ihr duscht oder Fitness macht. Und der hört jedes Mal, wenn sie die Musik anschaltet. "Eine Nachbarin hat mir auch schon gesagt: Ich weiß genau, wann du auf Klo warst. Sag ich: Woher weißt du das? Sagt sie: Na, ich hab das gehört! Das war mir schon peinlich."
Auch in den eigenen vier Wänden ist es Brandstädter manchmal zu eng. Ihr Sohn hat ein eigenes Zimmer. Sie und ihr Mann schlafen auf der blauen Couch im Wohnzimmer. Eigentlich wollte sie schon ausziehen, das abendliche Gekreische und Gegröle am Haus ist ihr zu laut. Ernst hat sie mit diesem Plan nie gemacht.
Im Wohnzimmerschrank steht ein Bild von ihrer Mutter. Sie hat im Pallasseum gelebt und ist hier gestorben, die Trauergesellschaft traf sich im Mietertreff KaffeeKlatsch. Auch der Vater lebte hier bis zum Ende. "Meine Mutter sagte: Man kommt hier nur in der Kiste raus. Meine Mutter ist mit der Kiste raus, mein Vater auch." Brandstädter sagt, dass sie dann wohl auch für immer hier bleiben wird. Und lächelt.