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11. Das Bekennervideo

11. Das Bekennervideo

Bevor sie die Wohnung in Zwickau in Brand steckte, schnappte sich Beate Zschäpe ein Dutzend DVDs und stopfte sie in einen Briefkasten. So landeten im November 2011 die Bekennervideos des NSU bei verschiedenen Vereinen und Medienorganisationen in der ganzen Bundesrepublik – zum Beispiel bei der Linkspartei in Halle, beim Türkischen Generalkonsulat in München oder bei der Lippischen Landes-Zeitung in Detmold. Die DVDs hatten schon versandfertig und frankiert in der Wohnung gelegen. Zschäpe musste sie nur noch mitnehmen. Der NSU war auf alles vorbereitet – auch im Wohnmobil, in dem sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt töteten, fand die Polizei Exemplare des Videos. Sie steckten in einem Rucksack. Auch auf einer Festplatte in der Wohnung befand sich eine Datei mit dem Film.

Es ist eines der wenigen inhaltlichen Zeugnisse, die von den Terroristen hinterlassen wurden: "Der Nationalsozialistische Untergrund", heißt es zu Beginn des 15-minütigen Films, sei "ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz 'Taten statt Worte'. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt." Dann erscheinen ein Logo des NSU und vier Köpfe der Zeichentrickfigur Paulchen Panther. Die aus der Fernsehserie kopierte Figur zieht sich durch den gesamten Film. Die Opfer des NSU werden verhöhnt. Hineinmontiert sind Szenen zu den verschiedenen Anschlägen und Morden des NSU, darunter Aufnahmen aus Nachrichtensendungen, zum Teil auch Fotos, die von den Mördern nach ihren Taten selbst gemacht worden sein müssen. Zeitungsausschnitte sind ebenfalls zu sehen. In der Wohnung des NSU in Zwickau haben die Ermittler eine Art Archiv mit diversen Artikeln über die Anschläge gefunden, zudem eine Art Drehbuch mit handschriftlichen Notizen, die laut einem Schriftgutachten wahrscheinlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt stammen.

Die Positionen

Anklage

Nicht nur das Versenden der DVDs ist für die Anklage ein Indiz dafür, dass Beate Zschäpe sich als Mitglied des NSU verstanden und mit dessen Taten identifiziert hat. Auf zwei Zeitungsausschnitten, in denen die Verbrechen thematisiert und die in den Überresten der Wohnung gefunden wurden, befinden sich ihre Fingerabdrücke. Kurz nach dem Nagelbombenattentat, das Mundlos und Böhnhardt 2004 in der Kölner Keupstraße verübten, nahm jemand Fernsehberichte über den Anschlag mit einem Videorecorder auf. Und zwar nicht programmiert, sondern mit der Hand. Dies konnten die Ermittler rekonstruieren. Die Aufzeichnungen wurden als Dateien in der Wohnung des Trios gefunden. Wer sonst außer Zschäpe sollte direkt nach der Tat die Beiträge mitgeschnitten haben? Das Erstellen des Bekennerfilms muss ein aufwendiger Prozess gewesen sein. Nachweisbar sind zwei Vorläuferversionen. Es ist lebensfremd zu glauben, Zschäpe könnte davon in der Wohn- und Lebensgemeinschaft mit Mundlos und Böhnhardt nichts mitbekommen haben.

Verteidigung

Den Bekennerfilm hat Beate Zschäpe im Gericht angeblich zum ersten Mal gesehen. Das beteuert sie in der schriftlichen Erklärung, die sie ihren Anwalt vorlesen ließ. Sie habe im Jahr 2000/01 lediglich mitbekommen, dass Mundlos eine DVD über die Raubüberfälle erstellen wollte. Und sie habe sich nichts dabei gedacht, als sie später immer wieder die Melodie aus den Paulchen-Panther-Filmen aus seinem Zimmer gehört habe. Was er am Computer tat, habe sie sich nicht zeigen lassen. Den Gedanken, dass Mundlos und Böhnhardt auch über die Morde, von denen sie ihr stets erst im Nachhinein berichtet hätten, einen Film produzieren könnten, habe sie "verdrängt". Zschäpes Verteidiger haben zudem darauf hingewiesen, dass die zwei Fingerabdrücke an den beiden Zeitungsartikeln wenig aussagekräftig seien. Die geringe Zahl belege eher, dass ihre Mandantin mit dem sogenannten Archiv kaum Berührung hatte. In einer gemeinsamen Wohnung könnten solche Spuren auf vielen Wegen dorthin gelangt sein. Und das Verschicken der DVDs im November 2011? Sie sei sich "des Widerspruchs bewusst", ließ Zschäpe ihren Anwalt vortragen. Angeblich wollte sie nur den "letzten Willen" ihrer Freunde erfüllen.