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2. Die Puppe am Strick

2. Die Puppe am Strick

Von der Autobahnbrücke baumelt ein Körper. Der Kopf steckt in einer Schlinge, auf der Brust und auf dem Rücken ist ein Davidstern angebracht, dazu die Aufschrift: "Jude". Aus zwei Kartons ragen Elektrokabel, an der Straßenseite steht ein Warnschild: "Vorsicht Bombe". Die Polizei wird alarmiert, die Autobahn für mehrere Stunden gesperrt. Die Beamten schneiden den Torso vom Seil – es ist eine lebensgroße Puppe. Sprengstoffexperten werden gerufen, die Kartons untersucht und schließlich als Bombenattrappen erkannt. Es ist die Nacht des 13. April 1996, an der A4 nahe der Ortschaft Pösen bei Jena. Die Neonazis aus Jena, die zwei Jahre später in den Untergrund gehen werden, haben wieder einmal Aufsehen erregt. An dem Tag besuchte Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, die Stadt Weimar. In der Öffentlichkeit wurde die antisemitische Aktion auch als ein Angriff auf ihn gedeutet. Wie ein Zeuge und Mittäter später sagen wird, wollten die Neonazis etwas machen, worüber die Presse in jedem Fall berichten musste. An der Aktion beteiligt war außer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auch Beate Zschäpe.

Die Polizei kam schnell auf die richtige Spur. An einem Karton fand sie Fingerabdrücke von Uwe Böhnhardt. Ihn und seine Kameraden hatten die Ermittler schon länger im Visier. Ein an der Puppe verwendeter weißer Zwirn entsprach dem, den die Ermittler auch an zwei Fahnen in Böhnhardts Wohnung sicherstellten. Vor Gericht bestritten er und seine Freunde dennoch, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Angesichts der Spurenlage verurteilte das Amtsgericht Jena Uwe Böhnhardt. Er sollte für insgesamt drei Jahre und sechs Monate in Jugendhaft kommen. Doch im Berufungsverfahren hob das Landgericht Gera das Urteil wieder auf. Trotz einiger Zweifel folgte es – zu Unrecht, wie man nun weiß – den Beteuerungen der Zeugen, die sich gegenseitig mit falschen Alibis deckten. Mit dabei in diesem Lügenspiel: Beate Zschäpe. Es war ein seltsamer Vorgriff auf das, was später noch alles kommen sollte.

Die Positionen

Anklage

Die Aktion belegt aus Sicht der Anklage die zunehmende Radikalisierung des Trios. Beate Zschäpe teilte demnach nicht nur die rassistische und antisemitische Einstellung ihrer Freunde, sondern sie war auch bereit, entsprechende Straftaten zu begehen. Nach Angaben des glaubwürdigen Zeugen Kay S., der damals ebenfalls dabei war und sich später aus der rechten Szene löste, war Zschäpe mit zur Autobahnbrücke gekommen. Vor Gericht hat sie damals die Unwahrheit gesagt und Böhnhardt, aber auch sich selbst mit falschen Angaben gedeckt. Und sie beließ es nicht bei dieser Aktion. Wie sie nun sogar selbst gestanden hat, verschickte sie zur Jahreswende 1996/97 mit Schwarzpulver gefüllte Briefe an eine Zeitung und an die Stadtverwaltung von Jena. Für die Anklage ist damit klar: Schon vor dem Untertauchen führte ihr Weg geradewegs in den Terrorismus.

Verteidigung

Dass sie an der Herstellung der Puppe beteiligt war, hat Beate Zschäpe mittlerweile zugegeben. Mit den Bombenattrappen jedoch habe sie nichts zu tun gehabt, ließ sie ihren Verteidiger im NSU-Prozess vortragen. Diese hätten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt konstruiert. Und sie sei, ihrer Erinnerung nach, auch nicht mit zur Autobahnbrücke gefahren. Gestützt wird diese Version von dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben, der selbst dabei war, aber anders als der Zeuge Kay S. ebenfalls aussagte, Zschäpe sei zu Hause geblieben. Zschäpe erklärte, mit den Bombenattrappen habe man Aufmerksamkeit erzielen und die "Ernsthaftigkeit unseres Tuns" betonen wollen, ohne dass eine echte Gefahr für Leib und Leben bestanden hätte. Rückblickend betrachte sie das Vorgehen als "unsinnig", damals hätten sie die Operation jedoch als Erfolg empfunden.

Ging Zschäpes Weg vom Puppentorso gerade weiter bis zur Sprengstoffwerkstatt in ihrer Garage? Oder hatte Beate Zschäpe diese Garage nur angemietet, um Uwe Böhnhardt zurückzugewinnen?

3. Das Bombenlabor