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6. Alles Tarnung?

6. Alles Tarnung?

Und dann saßen sie zusammen im Keller und tranken Prosecco. Der nette Hausmeister lächelte die fesche Nachbarin an, die so oft allein war, und stieß auf die "Diddelmaus" an – so nannte er sie. "Sie hieß Dienelt und sie ist 'ne Maus", sagte er später. "Eine hübsche Maus." Die nette Nachbarin revanchierte sich mit einer großen Pizza fürs ganze Haus. Alle kauten, alle tranken, es wurde geschäkert. Und niemanden störte es, dass bei den Zusammenkünften im Nachbarschaftskeller ein Hitler-Bild an der Wand hing.

Beate Zschäpe nannte sich im Untergrund Lisa oder Susann Dienelt und sie war eine nette, eine gute Nachbarin – das sagen sie alle, die Zeugen, die im NSU-Prozess auftreten. Sie spendete 60 Euro, wenn die herrenlose Katze aus der Siedlung zum Tierarzt musste. Sie bezahlte der Nachbarin, die nicht mit Geld umgehen konnte, den Einkauf zum Monatsende. Sie spielte mit den Kindern ihrer Freundin. Und der Kleingärtner aus der Siedlung hatte sie so lieb gewonnen, dass er ihr immer wieder selbstgezogene Gurken vorbeibrachte. Hausmeister Olaf Busch sagt bis heute: "Sie ist eine liebe, gute Nachbarin. Für mich hat sie nichts Schlimmes getan."

Video-Aufnahmen in und vor der Wohnung

Sie und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gaben keinen Anlass für Streitereien. Alles, was kleinbürgerlichen Aufruhr hätte verursachen können, wurde vermieden: Kein Lärm, sie hatten die Wohnung, in der sie die Bekennervideos drehten, eigens gedämmt. Auch der Keller, in dem sie Schießübungen abhielten, war isoliert. Wenn wieder mal ein Wohnmobil, mit dem die Männer auf Tour durch Deutschland gingen, vor der Tür stand, erzählte Beate sofort, es werde bald wieder weggefahren. Die Männer würden Fahrzeuge überführen. Und sie selbst war bekannt als vorbildliche Hausfrau, die die Wäsche ihres Freundes und des angeblichen Bruders wusch und hinterm Haus aufhängte. Die immer kochte, wenn die Männer nach Hause kamen. Die aber auch niemanden in die Wohnung ließ, sondern nur vom Fensterbrett aus Schwätzchen mit den Nachbarn hielt. Die Wohnung selbst war tabu, selbst Nachbarinnen, mit denen sie befreundet war, haben sie nicht betreten. Ein einziges Mal kam ein Handwerker rein, als er einen Wasserrohrbruch reparieren musste.

Die Positionen

Anklage

Für die Staatsanwaltschaft ist das, was Beate Zschäpe machte, nicht idyllische Nachbarschaft, sondern geschickte Tarnung. Das hat sie umsichtig betrieben. Legendierung nennt man das: Sie hat die Erklärungen dafür geliefert, warum ihre Männer so selten da waren. Sie sagte den Nachbarn, sie seien auf Montage und würden Autos überführen. Sie spann ein Lügengebilde: Sie selbst studiere oder arbeite vom Computer aus, sagte sie den Nachbarn. Oder auch: Sie müsse nicht arbeiten, weil ihre Männer so viel verdienten. Sie ließ auch niemanden in ihre Wohnung, wo fast ein Dutzend Waffen gehortet wurden. Mit ihren Mitteln, so argumentiert die Staatsanwaltschaft, hat sie dazu beigetragen, die Gruppe aufrechtzuerhalten. Sie war die Seele des NSU, der sichere Hafen, in den die Männer zurückkehren konnten. Ohne ihre auch psychologische Unterstützung hätten die Männer nicht so lange im Untergrund ausharren können. Die Staatsanwaltschaft sieht auch die Erklärung von Zschäpe skeptisch, wonach sie abhängig von den Männern gewesen sei und wegen des ersten Mordes ausgerastet sei. Wer beim ersten Mord angeblich ausrastet, aber dann neun weitere einfach hinnimmt und zu Hause sitzt, wirkt nicht sehr glaubwürdig.

Verteidigung

Beate Zschäpe war nicht die Seele, sondern die Gefangene des NSU. Seelisch und finanziell abhängig von den beiden Männern. So hat sie es vor Gericht vortragen lassen. Sie habe sich mit dem Gedanken getragen, sich bei der Polizei zu stellen. Aber ihre Männer hätten ihr gedroht, sie würden sich umbringen, wenn sie sie verlassen würde und sie dadurch entdeckt würden. Sie seien davon ausgegangen, dass die Polizei ihnen dann auf die Spur kommen würde. Deswegen habe sie weiter gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Zschäpe ließ dazu wörtlich erklären: "Ich stand vor einem für mich unlösbaren Problem: Sollte ich mich der Polizei stellen (...), so müsste ich wahrscheinlich den Tod der beiden einzigen Menschen, die mir neben meiner Oma lieb waren, auf mein Gewissen nehmen." Das brachte sie nicht übers Herz. Sie habe sich aber immer mehr von den Männern abgesondert, häufig allein Zeit in ihrem Zimmer beim Computerspielen verbracht oder sie sei viel gejoggt. Und sie hätten sich immer stärker angeschwiegen. Zschäpe erklärte, sie habe sich von den Taten ihrer Gefährten abgestoßen gefühlt, aber Uwe Böhnhardt geliebt. Und sie habe keine Chance auf eine Rückkehr in das bürgerliche Leben gesehen. Deswegen habe sie sich in ihr Schicksal ergeben und mit den beiden Männern weitergelebt, trotz deren furchtbaren Taten.

Die alten Verteidiger von Beate Zschäpe führten gern das Beispiel eines Mannes an, der das Haus eines Freundes gepflegt und den Rasen gemäht habe. Im Haus aber war eine Marihuana-Plantage. Der Mann wurde nicht wegen Mittäterschaft verurteilt, denn er habe, so der Bundesgerichtshof, nur Alltagshandlungen vorgenommen. Die Straftat seines Freundes könne ihm nicht zugerechnet werden. Und niemand, so ihre alten Verteidiger, könne Zschäpe nachweisen, dass sie wusste, was die Männer taten. Sie habe nur den Haushalt gemacht. Dann aber brach sie im Dezember 2015 ihr Schweigen und gab zu: Sie wusste, dass ihre Männer zu Banküberfällen aufbrachen, sie billigte es auch, weil sie ja Geld brauchten. Und sie wurde, wenn auch regelmäßig im Nachhinein, von den Morden informiert.

Wer je in einer WG gewohnt hat, weiß: Irgendeiner steht immer im falschen Moment in der Tür. Konnte sich Beate Zschäpe in der NSU-WG wirklich aus allem raushalten, was ihre Mitbewohner planten?

7. WG mit Waffen